Abrechnung mit den Eltern

17.11.2011, 23:00 Uhr
Abrechnung mit den Eltern

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Man muss nicht auf die „Buddenbrooks“ verweisen, um zu erklären, dass Schriftsteller gerne die eigene Familiengeschichte für Romane ausschlachten oder sich auch in der Provinz große Tragödien abspielen können. Aktuelle, ganz unterschiedliche Beispiele dafür liefern Eugen Ruge („In Zeiten des abnehmenden Lichts“), Julia Franck („Rücken an Rücken“) und Josef Bierbichler („Mittelreich“).

Oskar Roehler versieht seinen Roman mit dem Hinweis: „Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.“ Aber man glaubt ihm nicht. Zu deutlich sind die biographischen Parallelen mit dem Leben des Autors. Das macht die Sache spannend und schwierig zugleich. Denn dieser Roman wirkt wie ein literarischer Urschrei, es ist die brutale Abrechnung eines zutiefst verletzten und verstörten Zeitgenossen mit seiner Horror-Familie. Eine Selbsttherapie ohne Rücksicht auf Verluste. Ein trauriges Buch.

Literarische Hoffnungen

Oskar Roehlers Eltern sind beide Schriftsteller, die in der Literatur ebenso gescheitert sind wie am Leben: Die aus Nürnberg stammende Gisela Elsner und Klaus Roehler zählten zu den literarischen Hoffnungen in Nachkriegsdeutschland. Im Roman ihres Sohnes heißen sie Nora Ode und Rolf Freytag, sind aber überdeutlich zu erkennen. Die Auseinandersetzung mit seinen Eltern scheint das beherrschende Thema für Oskar Roehler zu sein: Der berührende Film „Die Unberührbare“ setzt sich mit seiner labilen Mutter auseinander, die sich 1992 das Leben nahm, „Der alte Affe Angst“ kreist um eine Vaterfigur.

Man sagt, dass sich im Rückblick vieles verklärt. Für Oskar Roehler gilt das nicht. Sein Blick zurück ist hasserfüllt. Der Roman beginnt mit der Heimkehr des Großvaters (väterlicherseits) aus dem Zweiten Weltkrieg, ein Verlierer, dessen nationalsozialistische Ideale zerstört sind. Willkommen ist er Zuhause nicht: Er muss feststellen, dass seine Ehefrau und Mutter seiner Kinder eine Liebesbeziehung hat: mit einer Frau. Das wird er ihr nie verzeihen. Dafür steckt er seine ganze Energie in den Aufbau einer Porzellanfabrik. „Franken war ein verwilderter, unterentwickelter Landstrich, über den die Zeit, nicht aber der Krieg hinweggegangen war. Nürnberg zum Beispiel war vollkommen zerstört worden. Die Ausläufer des Wirtschaftswunders berührten diese Region kaum.“

Harte Arbeit, aber vor allem die epidemische Verbreitung von Gartenzwergen in deutschen Vorgärten machen den Großvater Frey zu einem reichen Mann. Auch die Großeltern mütterlicherseits leben als Seelenkrüppel im Wohlstand: Sie wohnen im Nürnberger Villenvorort Buchenstein, der in Wirklichkeit Erlenstegen heißt. Hier wuchs Gisela Elsner auf. Doch spätestens bei der Beschreibung von Orten und Landschaften merkt der fränkische Leser, dass es sich um einen Roman und nicht um eine Dokumentation handelt: Der dichterischen Freiheit ist es wohl geschuldet, dass zum Beispiel das Walberla nach Kronach verschoben wird oder die Nürnberger Topographie nicht stimmt.

Dabei müsste sich der Enkel Robert, also das literarische Alter Ego Oskar Roehlers, in der Gegend bestens auskennen, schließlich hat er hier einen Großteil seiner unglücklichen Kindheit verbracht. Denn seine lebensuntauglichen Eltern, Nora Ode und Rolf Freytag, haben ihn schon frühzeitig an die Großeltern in Franken abgeschoben. Liebe, Zuneigung und Vertrauen lernt der sensible Knabe nie kennen, dafür Gefühlsterror, Gleichgültigkeit und Strenge.

Roehler zeichnet ein gnadenloses Familienporträt, manchmal fein wie eine Radierung, manchmal grob wie ein Holzschnitt. Gut kommt jedenfalls keiner weg: Weder die gefühlskalten Großväter, noch die besitzergreifenden Großmütter, weder der zynische Vater noch die herzlos egoistische Rabenmutter.

Bewegender Leidensbericht

Der Junge bleibt weitgehend sich selbst überlassen und beobachtet die Selbstzerstörung der Eltern aus unsicherer Distanz. In diesem Zusammenhang gibt Roehler auch aufschlussreiche Einblicke in das Intellektuellen-Milieu der 50er und 60er Jahre.

Es gibt viele packende, poetische und bewegende Passagen in diesem als Roman getarnten Leidensbericht. Eine zentrale Rolle spielt die Zeit der ersten Liebe und der Pubertät.

Doch die Abrechnung mit der Elterngeneration bleibt letztlich leider im Persönlichen stecken: Oskar Roehler hat keinen deutschen Schlüssel-, sondern einen Schlüssellochroman verfasst. Er hat sich seine Wut und Frustration von der Seele geschrieben, ohne dafür eine überzeugende literarische Form zu finden.

Oskar Roehler: Herkunft. Roman. Ullstein Verlag, Berlin. 583 Seiten, 19,99 Euro.
 

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