Algiers: Teufelsaustreibung in Gospel und Punk

28.5.2015, 08:30 Uhr
Diverse Blogs riefen Algiers als das nächste große Ding aus. Doch die Band aus Amerika ist kolossaler als jeder Hype.

© Alex Demora / PR Diverse Blogs riefen Algiers als das nächste große Ding aus. Doch die Band aus Amerika ist kolossaler als jeder Hype.

„Musik setzt sich für mich aus drei Teilen zusammen: Macht, Magie und Wahnsinn.“ Das diktierte der damals 22-jährige Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden Neubauten, im Herbst 1981 einem Musikjournalisten ins Aufnahmegerät. Ein paar Wochen zuvor hatte die Berliner Band mit „Kollaps“ eines der einflussreichsten Alben aus Deutschland veröffentlicht.

34 Jahre später, Bargeld trägt längst ein von wohlwollenden Feuilletonartikeln genährtes Wohlstandbäuchlein vor sich her, liegt nun das selbstbetitelte Album von Algiers vor, einer Band aus Amerika, die diverse Blogs seit Monaten als das nächste große Ding ausrufen. Einfluss der Einstürzenden Neubauten inklusive. Und das Zitat von Bargeld dürfte das Trio auch so unterschreiben.

Ursprünglich aus Atlanta, mittlerweile in New York und London beheimatet, dekonstruieren Algiers in elf Songs Gospel, Soul, Blues, NoWave, Industrial und Punk, schaben die einzelnen Bestandteile bis auf die Knochen herunter, um sie dann wieder zusammenzusetzen. Ausgezehrte Gitarren winden sich über verdorrte Rhythmen, darüber die Stimme Franklin James Fisher irgendwo zwischen Wanderprediger und Exorzist. Und immer irgendwie doch noch eine Melodie, die sich in die Songs reinschleicht.

In „Remains“ stimmen Algiers mit simplen Drums, Händeklatschen und Chor auf die Wucht der kommenden Minuten ein, die Tasten der Orgel drücken sich bis auf den Anschlag der Klaviatur, während Fisher seine Worte dem Wahn opfert. Auch „Blood“ durchströmen die Ideen der alten Protestlieder, ein Moloch, aus dem die Geister der alten Zeiten aufsteigen. Mit „Irony Utility Pretext“ kommen dann noch Namen wie Kraftwerk und Joy Division auf die Referenzenliste, während Algiers ihre Beats hier vom Boden einer verlassenen Diskothek zusammenkehren.

Dabei bauen Algiers hier nicht auf den immer gleichen Trick, dieses Album besitzt eine Vielschichtigkeit, eine Kraft, die nur wenige andere Platten die letzten Jahre innehatten. „Games“ gibt die perfekte Blaupause für R’n’B und Soul. Doch hinter all diesen Songs steht eine Meinung, ein Selbstbewusstsein, eine politische Botschaft. Fishers Zeilen bündeln den konfusen Zorn nach der Finanzkrise, nach der Postmoderne. Alles geht? Von wegen.

Seit Jahrzehnten drehen sich die Dinge im Kreis. Diese Platte verfestigt ihren eigenen Sound bereits von den ersten Takten an. Ein Stück wie „Claudette“ bekommen die wenigsten Bands auf die Reihe, in dieser Intensität sowieso nicht. Es geht nicht um Virtuosität, sondern darum, die eigene Stimme aus dem tiefsten Inneren rauszulassen. Ein Grollen durch die Zeiten. Egal, was dann passiert. Egal, ob das angenehm ist.

Algiers liefern mit ihrem Debüt mehr als nur elf perfekte Songs ab. Dieses Album ist Erlösung wie Verdammnis zugleich. Eine tiefschwarze Vision der Gegenwart. Und ein wunderschöner Kollaps.

Das komplette Album "Algiers" von Algiers gibt es bei "National Public Radio" im Stream. (VÖ: 29. Mai / Matador Records)

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