Apple-Offensive: Welche Folgen hat der Streaming-Boom?

23.3.2019, 11:00 Uhr
Nimmt Apple den Streaming-Markt ein? Es könnte eine Branche grundlegend verändern, die sich schon derzeit massiv auf Medienlandschaft und Mediennutzung auswirkt.

© dpa Nimmt Apple den Streaming-Markt ein? Es könnte eine Branche grundlegend verändern, die sich schon derzeit massiv auf Medienlandschaft und Mediennutzung auswirkt.

Ein Streaming-Krieg braut sich zusammen. Branchenkenner nennen die Widersacher darin die FAANG. Noch nie gehört? Sie sind die Goldgräber in einer Zeit, die viele als das "goldene Streaming-Zeitalter" bezeichnen. Die FAANG, das sind Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google. Sie alle investieren bereits jetzt Milliardensummen in Streaming verschiedenster Art, ihre Angebote steckten bislang aber teilweise noch in den Kinderschuhen oder die Mega-Konzerne positionierten sich noch einigermaßen komplementär. Das ändert sich im Jahr 2019. Dieses goldene Streaming-Zeitalter entspricht nämlich schon seit Jahren dem goldenen Zeitalter von Fernsehserien. Und nun wollen alle mitmischen. Schon im November 2017 wurden die ersten Serien-Beauftragungen von Apple bekannt, am Montag wird das US-Unternehmen dann seinen eigenen Streaming-Dienst vorstellen.

Serien-Aufmarsch der FAANG

Das wird enorme Folgen für die gesamte Unterhaltungsindustrie haben. Schon in den vergangenen Jahren rüsteten die FAANG auf und unternahmen neben ersten Gehversuchen im Serien-Bereich beispielsweise auch Investitionen in Live-Sport-Rechte. Als wirklich ernstzunehmende Produzenten von Serien-Unterhaltung wurden bislang allerdings von diesen "großen Fünf" nur Amazon und Netflix auffällig. Dass mit Netflix ein Unternehmen die größte Reputation in diesem Bereich genießt, das nur etwa fünf Prozent so viel Geld umsetzt wie Apple, das wertvollste Unternehmen der Welt, zeigt, welch großer Umbruch in der Welt des Streamings bevorsteht. Google und Facebook, auf den Plätzen zwei und vier der wertvollsten Weltkonzerne, werden mit ihren bereits bestehenden Diensten YouTube Premium und Facebook Watch hinsichtlich Original-Inhalten schon bald nachziehen. Ende des Jahres starten des Weiteren die Medienunternehmen Disney und Warner Bros. mit eigenen Diensten durch.

Hinsichtlich der Marktmacht thront Apple über ihnen allen, weshalb am 25. März die Unterhaltungsindustrie gebannt nach Cupertino, Kalifornien blickt, wenn Apple seinen Streaming-Dienst präsentiert. Schon im vergangenen Jahr investierte Apple mit einer Milliarde Euro etwa so viel in die Produktion neuer TV-Inhalte wie die Mediengruppe RTL Deutschland. Doch dieses heißerwartete Angebot umgeben auch viele Fragen. Die genaue Zielsetzung des Angebots ist aktuell noch unklar. Ein Name, für die Marken-Experten von Apple enorm wichtig, bleibt die Firma bislang genauso schuldig wie die Bestätigung diverser Medienberichte, wonach die Unterhaltungsproduktionen womöglich allen Besitzern von Apple-Produkten kostenfrei zugänglich gemacht werden könnten – ähnlich wie bei Amazon und seinem Dienst Prime Video. Dagegen spricht, dass Apples Musik-Streaming-Dienst Apple Music auch über ein Abo-Modell läuft.

Geht Netflix im Streaming-Krieg unter?

Ob Kosten, Verbreitungswege, Features oder Endgeräte. Letztlich dreht sich bei Streaming-Diensten wie früher alles eigentlich um eins: Um gute Inhalte. Auch hier hielt sich Apple vergleichsweise bedeckt, denn eigentlich veröffentlichen gerade die gut vernetzten US-Branchendienste regelmäßige Updates zu angekündigten Produktionen. Nicht so bei Apple. Eine bereits bekannte Produktion hört auf den Namen "The Morning Show" (mit Reese Witherspoon und Jennifer Aniston). Ansonsten wissen selbst US-Medien bis heute im Grunde nur, dass sich Apple die Dienste einiger bekannter Kreativer hinter der Kamera gesichert hat. Wie die Formate inhaltlich gefärbt sein werden, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Apple-CEO Tim Cook ist stets besorgt, dass anstößige oder gewalthaltige Inhalte mit Apple assoziiert werden könnten. TV-Orgien im Stile eines "Game of Thrones" wird es damit wohl bei Apple zumindest nicht geben. So strich das Unternehmen beispielsweise bereits eine geplante autobiografische Serie über den Musikproduzenten Dr. Dre, weil ihr Pilot inhaltlich über die Stränge schlug.

Diese Einschränkungen könnten eine Chance für etablierte Anbieter wie Netflix sein, die bekannt dafür sind, ihren Kreativen freie Hand zu lassen. Gerade der Einstieg Apples ins Streaming-Geschäft wirkt trotzdem eher wie ein Vorbote für den Niedergang von Netflix. 2018 investierte der Video-On-Demand-Anbieter 12 Milliarden US-Dollar in neue Produktionen, Analysten rechnen 2019 mit einem Anstieg auf 15 Milliarden Dollar. Das entspricht etwa dem aktuellen Umsatz des Unternehmens, das mittlerweile Milliarden in den Miesen ist. Der Grund ist so kostspielig für Anbieter wie für Nutzer: Alle Dienste, ob Amazon, Netflix, Warner Bros., Disney und nun Apple streben nach Exklusivität, in dem sie eigene Inhalte produzieren, die nur dort zu sehen sind.

Negative Folgen für Nutzer und das klassische Fernsehen

Die massiven Investitionen des Noch-Platzhirschs Netflix waren auch der Tatsache geschuldet, dass das Unternehmen um die Pläne seiner Konkurrenz wusste. Daher überflutete Netflix seinen Dienst im vergangenen Jahr geradezu mit Original-Inhalten, darunter viel Schund, um Disney oder Warner Bros. entgegenzukommen, die als lange etablierte Produzenten und Vertreiber von Filmen und Serien ihre Ware nach und nach von Netflix abzogen, um sie auf ihren eigenen Diensten exklusiv versammeln zu können. Für Nutzer bedeutet das das gleiche, was derzeit bereits Live-Sport-Fans zum Aufstöhnen bringt. Will man möglichst viele Inhalte sehen können, muss man viele verschiedene Abonnements abschließen, die alle zusätzlich kosten. Und weil alle Dienste massiv in Eigenproduktionen investieren, können sie sich für Kunden verschmerzbare Kampfpreise nur begrenzt leisten. Das Überleben ist also auch eine Geldfrage und Netflix könnte als kleinster Fisch irgendwann der Atem ausgehen.

Immer weiter bläht sich der Streaming-Markt auf. Weil hinter den Diensten in den meisten Fällen Weltkonzerne stecken, können nationale Anbieter allenfalls Nadelstiche setzen. Gerade das deutsche Fernsehen hat den Streaming-Hype massiv verschlafen. Erst kürzlich modelte RTL seinen Streaming-Dienst TVNow um und schuf ein Abonnement-Modell mit einer ersten eigenen fiktionalen Serie. Damit hinkt RTL dem Trend aber bereits Jahre hinterher. Der neue ProSiebenSat.1-Chef Max Conze rief derweil im vergangenen Jahr deutsche Mediengruppen dazu auf, einen gemeinsamen "Streaming-Champion" zu schaffen, der den internationalen Anbietern die Stirn bieten soll. Neben Discovery Communications zeigte bislang jedoch nur das ZDF Interesse. Wirklich wettbewerbsfähige fiktionale Stoffe produzierte in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit eigentlich nur Sky mit Werken wie "Babylon Berlin", "Das Boot" oder "Der Pass". Doch das ist zu spät und zu wenig.

Schere zwischen Jung und Alt öffnet sich weiter

Der Streaming-Aufschwung spiegelt sich auch zunehmend demografisch wieder. Optimisten aus der klassischen TV-Branche verweisen gerne darauf, dass Fernsehen immer noch Massenmedium Nummer eins ist in Deutschland und sich die Nutzungsdauer seit Anfang des neuen Jahrtausends stabil geblieben ist. Und tatsächlich: 2018 sah der Durchschnitts-Deutsche laut des Verbands Privater Medien 217 Minuten pro Tag fern, ähnlich wie nun seit knapp zehn Jahren. Doch die durchschnittliche mediale Internetnutzung verdoppelte sich derweil fast auf 82 Minuten pro Tag, wie die jährlich von ARD und ZDF in Auftrag gegebenen Online-Studien zeigen. Die Studien erhoben die tägliche Nutzung von Video-Plattformen wie YouTube, Videos bei Facebook oder eben Inhalten auf Streaming-Diensten.

Mit Blick auf die verschiedenen Altersgruppen wird klar, wie sich erklären lässt, dass die lineare Fernsehnutzung trotz des Streaming-Aufstiegs stabil blieb. Die Leute haben nicht etwa mehr Zeit, sondern die starken Zuwächse verzeichnet die mediale Internetnutzung vor allem bei Nutzern zwischen 14 und 29 Jahren. 14- bis 19-Jährigen streamten 2018 durchschnittlich 203 Minuten pro Tag, 14- bis 29-Jährige 186 Minuten. Zwischen 50 und 69 Jahren beläuft sich die Nutzungsdauer von Internet-Streaming dagegen gerade einmal auf 34 Minuten täglich, während die Nutzungsdauer des klassischen Fernsehens mit dem Alter in der Statistik massiv ansteigt. Ein düsteres Bild für deutsche Fernsehsender zeichnet auch die Statistik des Durchschnittsalters ihres Publikums. Obwohl Privatsender wie RTL, Sat.1, ProSieben oder VOX die sogenannten werberelevanten und von der Werbewirtschaft umgarnten 14- bis 49-Jährigen ansprechen wollen, liegt das Durchschnittsalter ihrer Zuschauer im Schnitt tatsächlich meist zwischen 40 und 55 Jahren.

Wird die Streaming-Blase platzen?

Es wird weiter steigen, denn die Inhalte, die besonders bei den 14- bis 29-Jährigen für Gesprächsstoff sorgen, gibt es im Netz. Doch nicht alle Serienfans zeigen sich begeistert vom Serien-Boom. In den USA spricht man von "Peak TV", also dem Gipfel des Fernsehens, weil nie mehr Fernsehserien produziert wurden als heute. Im Jahr 2018 waren es laut der jährlich veröffentlichten Bilanz von John Landgraf, dem Chef des Senders FX, 495 – dank des Streamings. Ist das positiv zu bewerten? Was nützen Serienliebhabern immer mehr Serien, wenn ihre Zeit, diese überhaupt anzusehen gleich bleibt. Tätsächlich bringt dieser TV-Gipfel soziologische Begleiterscheinungen mit sich. Streaming bedeutet Verfügbarkeit allerorten, zeitliche Selbstbestimmung und breite Auswahl. Das klassische Fernsehen kann das zwar nicht leisten, doch mit der On-Demand-Mentalität der Nutzer sinkt auch deren Involviertheit in die Inhalte.

Früher mussten Serienfans eine Woche auf eine neue Folge warten, sie hatten um eine bestimmte Uhrzeit auf der Couch zu sein und mussten auf Werbepausen warten, ehe sie ihren Blick abwenden konnten, damit sie nichts verpassen. Heute sitzen und liegen Serienfans häufig vor ihren mobilen Endgeräten, schalten Serien an, schauen aber nebenbei auf den Smartphone-Bildschirm. Dem in vielen Fällen letztlich nur noch beiläufigen Akt des Fernsehkonsums ging dann auch noch ein einstündiges Wühlen durch die überwältigend große Mediathek des Streaming-Anbieters voraus, bis man sich endlich für ein Format entschieden hat, das halbherzig weggesehen werden kann. Mit immer mehr Anbietern und Formate trifft dies für immer mehr Nutzer zu. Streaming bedeutet daher häufig auch Individualität statt Lagerfeuer-TV, bloße Ablenkung statt wirklichem Eskapismus und erdrückende Unübersichtlichkeit. Dieser Trend gefällt nicht jedem, denn diese Art von Fernsehkonsum ist nicht nachhaltig. Die Streaming-Blase könnte also bald platzen. Da helfen auch die FAANG-Milliarden nichts.

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