Berliner-"Tatort": Zwischen Schwulen-Sex und Tussi-Terror

5.6.2016, 21:45 Uhr
Berliner-

© rbb/Frédéric Batier

Auch im dritten "Tatort" mit Meret Becker (Nina Rubin) und Mark Waschke (Robert Karow) dominiert die horizontale Erzählweise. So steht nach dem Vorbild zahlreicher US-Serien nicht nur ein eigentliches Verbrechen im Vordergrund. Die aufeinander aufbauenden Geschichten rund um die zwei Hauptfiguren, die sich nur nach und nach aufzulösen scheinen, spielen weiterhin eine ebenso bedeutsame Rolle.

Rubin trägt also weiterhin Grabenkämpfe mit ihrer in die Brüche gegangenen Beziehung aus. Mit den aus dieser Liaison hervorgegangenen Kindern läuft es ebenfalls suboptimal. Kaleb (Louie Betton), einer der beiden Jungs, steht überdies kurz vor der Bar Mizwa, einem wichtigen Fest im religiösen Leben eines jüdischen Heranwachsenden. Da täte Mamas Hand wirklich Not. Doch die muss wie immer zur Arbeit. Kollege Karow ist keinen Deut besser dran. Noch immer versucht er wie besessen die wahren Umstände, die zum Tod seines ehemaligen Kollegen geführt haben, ans Tageslicht zu fördern und damit letztendlich auch sich selbst zu rehabilitieren. Dabei schreckt er vor drastischen Maßnahmen abseits des Erlaubten nicht zurück.

"Wir-Ihr-Sie" knüpft direkt ans Ende des vorherigen Falls an. Um den Zuschauern den Einstieg zu erleichtern, die weder "Das Muli" noch "Ätzend" gesehen haben, beginnt Torsten C. Fischers Film mit einigen Rückblenden. Die sind, um sich auch optisch vom restlichen Krimi abzuheben, in Schwarz-Weiß gehalten. So kommt immerhin etwas Licht ins Dunkel. Auch Ahnungslose können der Geschichte größtenteils folgen.

Schwuler Kommissar beim Sex erwischt

Einen ersten großen Aufreger hält "Wir-Ihr-Sie" schon nach vier Minuten bereit. Grobkörnige Bilder einer Überwachungskamera zeigen Karow beim Sex mit einem anderen Mann. Die Kamera gewährt tiefe Einblicke. Szenen, die man so noch nie in einem "Tatort" zu Gesicht bekommen hat. Dem ein oder anderen Zuschauer dürfte bei dieser Aufnahme sicherlich vor Schreck die Chipstüte aus der Hand fallen. Im Film selbst erregt das nur bedingt Aufsehen. Sieht man von den paar Lachern der verdutzten Kollegen ab. Aber ein schwuler Cop? In Berlin? Ja, dit kannste haben. Warum also nicht? Abgesehen davon dient diese Szene sowieso nicht dazu, die Vorlieben des Ermittlers auf eine reißerische Art offenzulegen. Einen Kameraschwenk weiter ertappt der Zuschauer Karows One-Night-Stand nämlich dabei, wie er eine Knarre in der Wohnung des Kommissars verschwinden lässt.

Der eigentliche Inhalt von "Wir-Ihr-Sie" ist rasch erzählt. Katharina Werner wird auf brutale Weise in einem Parkhaus überfahren. Ins Visier gerät eine Mädchen-Gang, die sich zur Tatzeit auf dem Areal aufgehalten hat. Charlotte (Valeria Eisenbart), eine der drei Heranwachsenden, hatte Geburtstag. Louisa (Cosima Henman) und Paula (Emma Drogunova) waren mit ihr zum Partymachen verabredet. Mit dem Mord konfrontiert, reagiert das pubertierende Trio äußerst gleichgültig. Viel wichtiger als alles andere ist ihnen ihr Smartphone, mit dem sie sich Tag und Nacht beschäftigen. Rubin und Karow bekommen es mit empathielosen Jugendlichen und überforderten Eltern zu tun. Ein Geständnis ist den Kids nicht zu entlocken. Erst gegen Ende des Films können die Ermittler die Mauer des Schweigens mit einer ungewöhnlichen Maßnahme zum Einsturz bringen.

Kaltherzige Mädchen kennen keine Reue

Der Krimi findet hauptsächlich vor einer herbstlich grauen, teilweise verregneten Berlin-Kulisse statt. Wer schon einmal zu dieser Jahreszeit dort war, weiß, wie hässlich die Metropole an der Spree gerade in diesen Monaten aussehen kann. Ein kalter Ostwind weht durch die Straßen und lässt Herzen förmlich gefrieren. Dieser triste optische Rahmen passt gut zum Inhalt, indem es um gleichgültig denkende Jugendliche geht. Junge egoistische Menschen, die skrupellos agieren. Für die es scheinbar nichts wichtigeres gibt als Smartphone, Outfits und genügend Likes auf Beiträge in sozialen Netzwerken.

Dagmar Gabler zeichnet mit ihrer Geschichte zwar ein etwas überzogenes Bild dreier Mädchen unserer heutigen Gesellschaft. Doch von Realitätsferne kann keine Rede sein. Schließlich fällt jedem von uns die zunehmende Verrohung auf. Mehr Gleichgültigkeit, mehr Aggression, mehr Enthemmung. Eine wahre Begebenheit liegt Gablers Drehbuch nicht zugrunde. Allerdings ging nach Beendigung der Dreharbeiten ein ähnlicher Vorfall mit drei 14-jährigen Mädchen durch die Medien. Sie hatten mit einem gekidnappten Auto einen Unfall mit Todesfolge verursacht und dann einen Täter erfunden, um der Strafe zu entgehen. Der dritte Berliner "Tatort" punktet mit einer griffigen Story, guten Schauspielern und nicht zuletzt deshalb, weil Robert Karow weiterhin nichts Fixes ist und eine undurchsichtige Person bleibt. Einige wenige Dinge lösen sich in "Wir-Ihr-Sie" zwar auf. Doch es tun sich mindestens ebenso viele neue Fragen, neue Rätsel auf.

Mit dieser Folge verabschiedet sich der "Tatort" nun in eine lange Sommerpause. Bis Ende August zeigt Das Erste Wiederholungen. Die nächste Erstausstrahlung ist für den 28. August. angesetzt.

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