Bilder aus einem kriegswunden Land

15.2.2011, 00:00 Uhr
Bilder aus einem kriegswunden Land

Auf dem ersten Blick wirkt die Aufnahme, die der deutsche Fotograf Kai Wiedenhöfer von Jamila Al-Habash machte, wie ein klassisches Porträt. Das Hauptlicht fällt auf die Vase mit den Rosen neben dem Ohrenbackensessel, in dem die junge Palästinenserin thront. Sie schaut entspannt in die Kamera, um ihre Lippen spielt ein leichtes Lächeln. Der Schock für den Betrachter kommt, wenn der Blick von den sittsam gefalteten Händen nach unten wandert: Jamilas Körper endet in den Stümpfen der Oberschenkel.

Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Dies ist die Essenz der Geschichte, die das Foto erzählt: „Die 16-jährige Jamila Al-Habash besucht die Oberstufe im Tufah Bezirk in Gaza City. Als sie am 4. Januar 2009 nachmittags um 3 Uhr auf der Dachterrasse Ihres Hauses spielte wurde sie von einer Rakete getroffen. Bei dem gleichen Angriff wurde eine ihrer Schwestern getötet; ihr 16 jähriger Cousin Mohammed verlor ein Bein, ein anderer Cousin starb und ein weiterer wurde leicht verwundet. Jamila wurde operiert und bekam Prothesen in Saudi Arabien. Da sie Probleme mit den Prothesen hatte, bekam sie neue in Slowenien, mit denen sie aber ebenfalls nicht zurecht kam. Vor ihrer Verletzung war Jamila ein schlankes Mädchen. Aber da sie sich nicht mehr frei bewegen kann, hat sie stark zugenommen. Die Hülse der Phosphorgranate, die auf diesem Foto zu sehen ist, fand ihr Vater in seinem Garten außerhalb von Gaza City.“

Militärisch fällt Jamilas Schicksal in die Rubrik „Kollateralschaden“. Im Gegensatz zur Hamas, die blindwütig ihre primitiven Raketen nach Israel feuerte, bemühten sich dessen Streitkräfte bei dem dreiwöchigen Vergeltungsschlag im Winter 2008/09, Leib und Leben der Zivilbevölkerung möglichst zu schonen. Flugblätter und Knallkörper mahnten die Palästinenser kurz vor dem Angriff auf das dicht besiedelte Gebiet, sich in Sicherheit zu bringen. Doch im Nachhinein entpuppte sich diese Warnung als Feigenblatt der Kriegsfurie, die Tod und Verderben über Gaza brachte.

„Das Buch der Zerstörung“ nennt Kai Wiedenhöfer seine Dokumentation über die Folgen, die er ein Jahr nach dem Krieg zusammenstellte. Was Wiedenhöfer dokumentiert, ist von unzähligen Reportern aus aller Welt und der Untersuchungskommission der Uno zuvor bezeugt worden. Schon aus diesem Grunde ist es infam, dem deutschen Fotografen „Antiisraelische Propaganda" oder gar „Antisemitismus“ vorzuwerfen.

Zwischen Israel und Palästina

Der 1966 in Schwenningen geborene Fotojournalist erhielt für seine Arbeit zahlreiche internationale Preise. Nach seinem Studium an der Folkwang-Hochschule in Essen wurde Wiedenhöfer 20 Jahre lang zum Grenzgänger zwischen Israel und Palästina und besitzt auf beiden Seiten viele Freunde. Ihm geht es nicht um Schuldzuweisungen und politische Propaganda. „Ich bin nur ein Botschafter und berichte, was ich sehe,“ summiert Wiedenhöfer seine Arbeit.

Für diese Integrität zeugt auch das Foto einer Frau, die von der Hamas als Strafe für ihre Proteste gegen die Terrorangriffe auf Israel verstümmelt wurde. Wiedenhöfer möchte ihr wie den anderen Kriegsbeschädigten mit dem Erlös aus dem Buch und den Ausstellungen zu einer besseren medizinischen Versorgung verhelfen.

Der Fotograf ist ein kongenialer Nachfolger von August Sander, der 1946 seine umfangreiche Bilddokumentation über das kriegszerstörte Köln begann. Das furchtbare, eigentlich unerträgliche Sujet seiner Aufnahmen wird durch die kühle, dezente Fotografie Wiedenhöfers an- und einsehbar.

Wiedenhöfer zeigt, dass moderne Kriege keine Videospiele sind, sondern Leben und Landschaften wie eh und je zerstören und vernichten. Er dokumentiert ein Land, in dem der Krieg den Alltag bestimmt und weiter bestimmen wird. Es ist ein Land, dessen zerfetzte Wohnblocks, Fabriken, Flughäfen und Krankenhäuser in Wiedenhöfers Fotos an surreale Meisterwerke von Max Ernst oder Salvador Dalí gegen den Horror des Krieges erinnern.

Kai Wiedenhöfer: Book of Destruction: Gaza – One Year After the 2009 War. Steidl Verlag, Göttingen, 160 Seiten, 34 Euro.

Die Ausstellung wird ab 23. Februar in Ramallah ausgestellt.
 

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