Brecht in seiner ganzen Zerrissenheit

22.3.2019, 15:43 Uhr
Brecht in seiner ganzen Zerrissenheit

© Foto: Stefan Falke/dpa

Keine Frage: Heinrich Breloer hat bei Bertolt Brecht gelernt. Wenn da auf der einen Seite die theatralische und erzählende Form das Geschehen im epischen Theater kennzeichnete, so faszinieren auf der anderen Seite Filme, in denen Zeitzeugen, Originaldokumente und Spielszenen sich mischen: Beides ergibt ein vielschichtiges Bild, das nach dem Ansehen keineswegs schon fertig konsumiert ist. Die verschiedenen Schichten und Ebenen fordern den Zuseher vielmehr dazu heraus, die Widersprüchlichkeit der Protagonisten zu hinterfragen, die Geschichte(n) weiter zu denken.

"Ich komme gleich nach Goethe"

In diesem Sinne ist Breloers zweiteiliger Film über Brecht gut und stimmig. Diese Art der spielerischen Dokumentation hat der Regisseur erfunden, und in "Brecht" gehen die alten Aufnahmen vom Nachkriegs-Berlin manchmal fast unmerklich in Szenen über, die heute in den Theatern, in denen Brecht wirkte, spielen; da sprechen im Off die Interviewpartner und man kann sich ein Bild machen von ihnen, wenn Schauspieler, die oft verblüffend aussehen wie ihre Vorbilder, die Momente aus dem turbulenten Leben des Dramatikers zwischen Augsburg, New York und Berlin nachstellen.

Die Zeit des Exils spart Breloer aus, er zeigt uns stattdessen im ersten Teil ein wenig ausgewalzt den jungen Heißsporn (Tom Schilling), der im bunten, überbordenden Jahrmarktgeschehen schon die Zukunft seines Theaters sieht und es mit der Treue zu seinen wechselnden Lieben nicht ganz so genau und ernst nimmt. Von seinem Genie ist er selber so arg überzeugt ("Ich komme gleich nach Goethe"), dass er einem fast ein wenig unsympathisch und arrogant erscheint: "Ich muss skrupellos sein." Ein nickelbebrillter Moritatensänger mit Herzbeschwerden, dem der Abscheu vor Krieg und Macht im Blut liegt, ein Träumer, der den drohenden Alp schon spürt, unter Pflaumenbäumen warnt er seine Freunde: "Glotzt nicht so romantisch".

Es sind immer die Frauen, die Brecht leiten und die unter ihm leiden. Das wird besonders im zweiten Teil, in dem Burghart Klaußner großartig den Dichter verkörpert, deutlich. Elisabeth Hauptmann, Marianne Zoff, Käthe Reichel, Ruth Berlau und treu bis zur Selbstaufgabe "die Weigel" (die geniale Adele Neuhauser brilliert taff, stoisch, skeptisch, verletzt): Trabanten, die das Gestirn umschwirren und denen irgendwie auch nicht zu helfen war: "Er war nicht nur Dichter, sondern auch Mann. Und seine Nähe machte produktiv." Breloer zeigt uns hier einen nach außen selbstsicheren, bisweilen aufbrausend ungerechten Brecht, der doch immer auf der Suche nach diesem ganz kleinen Glück war, der zart und behutsam sein konnte.

Liebe zu schnellen Autos

Die Ablehnung jeglicher Bürgerlichkeit erscheint da oft als Attitüde eines Mannes, der große und schnelle Autos liebte; das Festhalten am Auftrag, durch das Theater auch den Menschen zum Guten zu verändern, dagegen ist bei ihm Manie. Da ignoriert er, der nach dem Krieg in der DDR nie wirklich heimisch geworden ist, die perfide Politik der SED, der er sich anbiedert, damit er Herr sein kann in seinem Haus am Schiffbauerdamm, auf dessen Turm die riesige Leuchtreklame montiert wird: "Berliner Ensemble".

Das war sein wirklicher Traum und folgerichtig spielt dieser zweite, bessere Teil auch fast nur in den Räumen des Hauses in Ost-Berlin. Ganz in der Nähe, in der Chausseestraße, wohnte er, über ihm die unerbittliche, verhärmte Helene Weigel, ohne die er nie so weit gekommen wäre, und immer mit Blick auf den Friedhof, auf dem er später begraben werden sollte: "Ich will einen Stein, auf dem nur ‚Brecht’ steht."

Theater-Fanatiker

Heinrich Breloer zeigt den Theater-Fanatiker in seiner Zerrissenheit, der in seinem "Galilei" zwischen den Zeilen das ganze System auseinandernahm; den humanistischen Überzeugungstäter, der aneckte und sich geschickt Repressalien entzog ("Brecht geht vor Recht"); den Blauäugigen und Betrogenen, der den Stalin-Preis annahm und dann schrieb: "Der verdiente Mörder des Volkes", diese Zeilen aber in der Schublade verschwinden ließ; den unmoralischen Moralisten ("Wie anstrengend es ist, böse zu sein").

Und es bleibt in diesem sehenswerten Zweiteiler über ein Stück deutscher Geistesgeschichte am Ende eine Sehnsucht – einer wie Brecht tut uns heute not: "Ich vertraue auf die Menschen und ihre Lust am Denken."

Ausgestrahlt wird das zweiteilige Dokudrama am Freitag, 22. März, ab 20.15 auf Arte, dazu ab 23.20 Uhr die Doku "Brecht und das Berliner Ensemble". Die ARD zeigt den Themenabend am 27. März ebenfalls ab 20.15 Uhr.

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