Deichkind mit "Niveau Weshalb Warum": Hauptsache über Los

12.2.2015, 07:10 Uhr
Neonfarbenes Funkeln für die Gegenwart: Deichkind veröffentlichen ihr sechstes Album "Niveau Weshalb Warum".

© PR / Henning Besser Neonfarbenes Funkeln für die Gegenwart: Deichkind veröffentlichen ihr sechstes Album "Niveau Weshalb Warum".

Diese Gesichter, als vor einigen Jahren „Remmidemmi“ in den großen Diskotheken aus den Boxen pumpte. „Schmeißt die Möbel aus dem Fenster, wir brauchen Platz zum Dancen!“ Irgendwie fühlten sich die Leute verarscht. Doch niemand konnte so genau ausmachen, warum. Zu genau traf der Song ein Lebensgefühl zwischen Ironie und Dekadenz. Stirnbänder? Dosenbier? Schnauzer? Alles auf einmal kassiert, alles auf einmal wieder furchtbar angesagt. Der Flohmarkt hipper als jeder Laden der Innenstadt.

Seit fast zehn Jahren bedienen Deichkind dieses neonfarbene Trauma. Ihren Sound haben sie vertieft, die kargen und plumpen Beats aus den Anfangstagen ihrer Transformation haben sie längst durch perfidere Rhythmen ausgetauscht. Damals hieß es schon: Weg vom klassischen HipHop, denn der wäre Deichkind so oder so irgendwann zu klein geworden als Schublade, hin zum Kunstprojekt.

"Was habt ihr?", einer von den 13 neuen Songs, zieht sich selbst an seinen Takten hoch, bevor im Refrain der Boden vibriert. Ja, Techno drin, aber eben ins Format von Pop gegossen, Rap gibt es im Text, klar, trotzdem dürfte von den Kollegen aus dem HipHop niemand mehr mithalten können - und Deichkind nehmen sich durch simple Reime und einfache Sätze, von denen jeder zum erfolgreichen Tweet taugt, sowieso raus. Wozu ein Bass taugt, zeigen die Hamburger dann in „So’ne Musik“ und auf einmal brummt die Luft. 

Deichkind persiflieren in ihren Texten dabei weiterhin das Leben des 21. Jahrhunderts, ohne dabei allerdings so subversiv zu agieren, dass sich jemand daran stört. Die Kritik an der Vermarktung ist die Vermarktung der Kritik an der Vermarktung. Der Fundus an Phrasen und Slogans aus der Werbung speist dafür den Sound, just do it! „Wir wollen nur an dein Geld ran, war schon immer so, frag mal deine Eltern.“ Mittendrin statt nur dabei. We love to entertain you.

Aus vom Sinn entleerten Sätzen bauen Deichkind ihre Text. Während sich zahlreiche Redakteure da noch beflissen fühlen, was von der Rückkehr von Dadaismus zu fabulieren, dürfte den Hamburgern das ziemlich egal sein, ob ihre Worte nun auf die Bühne oder ins Reclamheft gehören.

Ein besseres Stück zu den Befindlichkeiten in den sozialen Netzwerken wie "Like Mich Am Arsch" hat wohl noch kein deutschsprachiger Künstler gezimmert. „Gefällt mir, dass du Proteste liebst. Dass du gar nicht trinkst und doch Bukowski liest.“ Die Performance, das Präsentieren der eigenen Persönlichkeit übersteigt die Botschaft. War im Pop schon immer so. Ist im Netz seit Myspace so. Dass Deichkind beim Überspitzen die Leere nicht noch auftanken, sondern eben doch irgendwie was zu sagen haben – das macht „Niveau weshalb warum“ zu einem der aufregendsten deutschsprachigen Alben der letzten Jahre.

Die Deluxe-Version des Albums kommt als Brettspiel daher. Passt irgendwie. Hauptsache, es geht irgendwie über Los. Alle anderen Felder zählen erstmal nicht. Alles andere stellt sich ein, wenn das letzte Beck’s Lemon getrunken, der letzte Erdnussflip gegessen ist. „Gegensätze ziehen sich an. Wir gehören zusammen.“ Und für fünfzig Minuten glaubt man diese einfachen Worte wieder. Und weiß: Das hier ist ziemlich großartig. Ganz ohne Ironie. 

Deichkind, "Niveau Weshalb Warum", Günther Music/Universal Music. Live bei Rock im Park vom 05. bis 07. Juni auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg.

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