Depeche Mode - Spirit: Wieder zu Kräften gekommen

Christian Urban

E-Mail zur Autorenseite

17.3.2017, 09:24 Uhr
Depeche Mode - Spirit: Wieder zu Kräften gekommen

© Anton Corbijn/PR

Eines fällt gleich bei den ersten Takten von “Going Backwards” auf: Die Zeiten der seit “Playing The Angels” exzessiv zelebrierten (und dennoch meist nur minimalistisch eingesetzten) analogen Synthesizer ist wohl vorerst vorbei. Deutlich klarer und kühler kommt der Opener von “Spirit” daher - und außerordentlich gefällig. Ein Song, der durch seine atmosphärische Dichte in etwas voluminöserer Aufmachung direkt aus den von vielen Fans immer noch vermissten guten alten Zeiten von “Violator” oder “Music For The Masses” stammen könnte.

Nach dem bereits vor einigen Wochen veröffentlichten “Where’s The Revolution” - einem Song, der sein Potential erst nach mehrmaligem Hören entfaltet, wartet mit “The Worst Crime” die erste düster-depressive Downtempo-Nummer des Albums. Bleibt beim ersten Hören nicht unbedingt hängen, passt aber dennoch wunderbar in die durch die ersten beiden Songs erzeugte Atmosphäre.

Die erste wirkliche Überraschung wartet an vierter Stelle: “Scum” klingt erst mal gar nicht nach Depeche Mode, wäre aber vermutlich einer der großartigsten DM-Songs der letzten Jahre oder sogar Jahrzehnte - wäre da nur nicht der atemlose und dazu auch noch stark verzerrte Gesang. Es ist ein absoluter Jammer, denn genau dadurch büßt der von Grund auf tiefschwarze Song einiges von seiner schwerfälligen Wucht ein.

“You Move” dagegen ist nach langer Zeit mal wieder Depeche Mode in Reinstform, wenn auch in einem außergewöhnlich poppig anmutenden Gewand. Aber wenn es auf dem Album einen Song gibt, mit dem man eine gute Version von “50 Shades of Grey” unterlegen könnte, dann ist es dieser. Abgründig, anzüglich, schmutzig… wunderbar.

Zu “Violator”-Zeiten im Studio vom Tisch gefallen

Die Hoffnung, nach längerer Zeit endlich mal wieder eine DM-Scheibe ohne Hänger erwischt zu haben, zerschlägt sich allerdings mit dem danach folgenden “Eternal”. Der erste Song des Albums mit Martin Gore am Mikrofon ist ein 2:24 Minuten langes und leider recht konzeptlos wirkendes Synthesizer-Requiem, “Poison Heart” der übliche (Gift)Herzschmerz und “So Much Love” hektisches Stakkato-Gestampfe ohne sonderlich viel Charakter, das fatal an das schwache "Soft Touch/Raw Nerve" des Vorgänger-Albums erinnert.

Und doch schaffen es Depeche Mode dann wieder, den Hörer zu versöhnen: Mit “Poorman” - einem Song, bei dem vermutlich jedem älteren Fan das Herz aufgehen dürfte, weil er klingt, als wäre er zu “Violator”-Zeiten irgendwo im Studio vom Tisch gefallen und nun beim Aufräumen wieder aufgetaucht. Da verzeiht man der Band auch gerne, dass das darauf folgende “No More” zwar nicht unbedingt ein Ohrwurm ist, sich aber trotzdem toll in das Album einfügt.

Das letzte Wort hat diesmal ausnahmsweise Martin Gore mit “Fail”. Der Name ist zum Glück nicht Programm, “Fail” gehört aber dennoch zu den schwächeren Songs des Albums und plätschert größtenteils vor sich hin, auch wenn Depeche Mode ihm ironischerweise die fettesten Drums des ganzen Albums spendiert haben - zumindest für knapp 1 ½ Minuten gegen Ende.

Aber selbst wenn “Spirit” gegen Ende wieder etwas abflacht: Neben dem Album verblassen alle DM-Scheiben der jüngeren Vergangenheit seit “Ultra”. Endlich hat sich die Band vom übersteigerten Minimalismus der letzten Jahre gelöst und wieder zu Kräften gefunden. Und so gibt es mal wieder einen Grund, sich nicht nur wegen der unverzichtbaren älteren Songs auf die Tour zu freuen.

Verwandte Themen


Keine Kommentare