Der Mann, der Hitlers Ego kränkte

9.10.2016, 19:24 Uhr
Der Mann, der Hitlers Ego kränkte

© Foto: Marion Bührle

Unter Historikern und Rechtsgelehrten ist der Name Hans Litten bekannt. Es gibt Straßen, die nach ihm benannt wurden, und einen Preis für demokratisches Engagement. Doch im allgemeinen Bewusstsein gehört er zu den vielen Randfiguren des Widerstands gegen das Hitler-Regime. Dass er nun wieder ins Rampenlicht rückt, ist seiner Nichte zu verdanken, der Nürnberger Schauspielerin Patricia Litten, die die in Buchform erschienenen Erinnerungen ihrer Großmutter — der Mutter des Anwalts — wieder ausgegraben hat. Der Engländer Mark Hayhurst machte ein eher bieder gestricktes Theaterstück daraus.

Dass das Thema „Juristen im Widerstand“ auch heute brisant ist, zeigt bei der Premiere der Stand von Amnesty International im Foyer, wo an aktuelle Fälle von verfolgten Juristen erinnert wird und wo auch Maede Soltani, die Tochter des inhaftierten iranischen Anwalts und Nürnberger Menschenrechts-Preisträgers Abdolfattah Soltani, das Gespräch sucht. „Was Irmgard Litten für ihren Sohn in den 30er Jahren getan hat, ist genau das, was meine Mutter jetzt für meinen Vater im Iran macht“, sagt sie.

Umso enttäuschender, dass „Der Prozess des Hans Litten“ in Nürnberg in einer so altbackenen Inszenierung (Regie: Jean-Claude Berutti) daherkommt. Schritt für Schritt folgt man der engagierten Mutter, die versucht, bei Nazi-Größen Milde für ihren schon direkt nach dem Reichstagsbrand und der Machtergreifung 1933 inhaftierten Sohn Hans zu erreichen. Wirklich gepackt wird man nicht vom bemüht-realistischen Bilderbogen. Denn die Figuren seltsam beziehungslos zueinander, ihre Charaktere zementiert.

Hans Litten hatte sich den Zorn von Adolf Hitler zugezogen, weil er ihn 1931 als Zeuge vor Gericht lud und rhetorisch derart in die Enge trieb, dass der zukünftige „Führer“ cholerisch durch den Saal brüllte. Verhandelt wurde ein Überfall von SA-Männern auf die Feier eines linken Arbeitervereins. Drei Arbeiter wurden getötet. Litten konnte nachweisen, dass Hitler entgegen seiner Behauptungen den SA-Terror bewusst einsetzte.

Das alles erfahren die Zuschauer häppchenweise, wenn die inhaftierten und mit Schlägen gefolterten NS-Kritiker Hans Litten (Philipp Weigand), der linke Journalist Karl von Ossietzky (Marco Steeger) und der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam (Pius Maria Cüppers) zunächst als kabarettistisches Dreigespann auftreten. Das wenig witzige Geplänkel der Geschundenen, unterbrochen von Schlägen ihres SS-Wärters (Frederik Bott), soll den Mut der Männer illustrieren, gibt sie aber der Lächerlichkeit preis. Später sieht man sie hinter KZ-Stacheldraht auf einer Plattform, die immer wieder vom Schnürboden herabsinkt (Ausstattung: Rudy Sabounghi).

Auf der Drehbühne darunter startet Hans’ Mutter Irmgard ihre Rettunsmission: Patricia Litten ist zugleich Ich-Erzählerin und Darstellerin der mutigen Frau, die unermüdlich bei SS-Mann Conrad (Michael Hochstrasser) vorspricht. Letztlich ohne Erfolg.

Harte Schnitte

Patricia Litten ist anfangs nervös in dieser sehr persönlichen Rolle, zeigt die immer verhärmtere, sich von ihrem Mann (Heimo Essl) entfremdende Mutter, die aber auch schneidig „Heil Hitler“ rufen kann, wenn’s ihrer Sache dient. Konzentrierte Sachlichkeit wechselt mit stillen Momenten, die mehr transportieren als der Text. Dass so wenig Emotionen über die Rampe kommen, liegt vor allem an der uninspirierten Regie, die mit zeitgenössischen Mobiliar, ein paar Videoprojektionen (warum sehen wir ewig lang eine weiße Fahne flattern?), Horst Wessel-Lied und harten Schnitten zwischen KZ und bürgerlichem Salon mehr bebildert als inszeniert.

Brisanz ist aber spürbar, wenn der britische Lord Allen (Jochen Kuhl) seine dünnen Argumente vorbringt, warum er sich nicht für die politischen Gefangenen einsetzen kann: Staatsraison geht vor, schließlich gehe es um interne Angelegenheiten Deutschlands. Man fühlt sich an Staatsbesuche europäischer Politiker in China oder der Türkei erinnert.

Gegen Ende, wenn Hans Litten schließlich im KZ Dachau gequält wird, sehen sich Sohn und Mutter zum letzten Mal, ihre Charakterstärke, die sie dem Sohn weitergab, wird nochmal Thema. Doch dann wechselt sie wieder hart in die Erzähler-Rolle: „1938 bin ich ausgewandert“... Viel Doku-Theater, wenig tiefer gehende Einfälle. Schade um den Stoff über einen mutigen Mann, an den man sich erinnern sollte.

Aufführungen am 15./16. 10.; 4., 16., 19. und 24. 11., Karten-Tel. 09 11/ 216 22 77

Der ars vivendi Verlag Cadolzburg hat Irmgard Littens Erinnerungen „Eine Mutter kämpft gegen Hitler“ als E-Book im Programm, ab Februar 2017 auch als Hardcover-Ausgabe..

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