Der Triptease des Flying Lotus

6.10.2012, 07:00 Uhr
Steven Ellison liefert mit "Until the quiet comes" sein viertes Album.

© Timothy Saccenti/oh Steven Ellison liefert mit "Until the quiet comes" sein viertes Album.

Der Druck lastete bei den Aufnahmen auf Steven Ellison, doch mehr noch als jeder andere weiß er selbst, was er wann und wie zu tun hat, um das Optimum herauszuholen. Der Trip, den "Until the quiet comes" fährt, hat sich trotzdem losgelöst von jeglicher Schwere und Gravitation. Einzelne Beats und Spuren von analogen Keyboards treiben vor sich hin. Wieder hat Ellison einzelne Teile so verknüpft, dass sich seine vierte Platte nur als komplettes Werk verstehen lässt, viele Tracks greifen ineinander, entwickeln und schieben sich voran. Die angesagten Einflüsse von Gentle Giant, Portishead und Stereolab zeichnen sich vielleicht über drei Ecken ab, aber wer erwartete bei Flying Lotus schon etwas anderes, als die nächste Metamorphose seines Sounds?

Dabei sind mit Laura Darlington, Thundercat und Thom Yorke Features dabei, die auch auf den früheren Platten bereits ihre Momente hatten. Doch Ellison setzt anders an - Gäste wachsen einfach mit. "Electric candyman" trägt eine Melodie wie einen schweren Sack über den Rhythmus und lässt Yorke daneben schwirren. Und Thundercat passt bestens zum einleitenden Basslauf von "DMT song", den Flying Lotus mit ein paar Synthie-Sounds nach oben hebt, bevor direkt der pumpende Takt von "The nightcaller" einsetzt. Wieder verschieben sich die Flächen und Ideen. Ellison vereint die Dinge auf "Until the quiet comes" so konsequent, wie er sie innerhalb von ein paar Sekunden wieder zerschlägt. Alleine diese Bereitschaft, in so kurzer Zeit oft neu anzusetzen, den jaulenden Bass von "Sultan's request" im nebulösen "Putty boy strut"aufzulösen, hebt "Until the quiet comes" von den üblichen Platten aus der Ecke ab. Dabei verliert sich Ellison nie. Er kündigte an, dass dieses Album keine Wiederholung werden sollte, kein gleicher Ansatz wie früher. Und das Versprechen erfüllt sich.

Dennoch ist "Until the quiet comes" keine nächtliche Fahrt, kein Ausflug, sondern der Rückzug auf den minimalen Moment, auf die Kürze des Augenblicks. Jeden Rhythmus hat Ellison gepellt, ihm nur noch das Nötigste gelassen, um zu funktionieren. Verschiedene Gefühle tauchen auf und verrauchen wieder in Kürze, sobald angedeutete Streicher versacken oder eine Melodie verkümmert. Dabei trägt "Until the quiet comes" keine Dunkelheit in sich, keine ausgeprägte Melancholie. Vielmehr zieht diese Dreiviertelstunde vorbei, fährt in den Körper und dreht jedes Organ mit Gelassenheit und Neugier um.

Der Blick wandert in die Nacht, aber sie ist nicht schwarz, sondern leuchtet unter dem Seufzen der schlafenden Städte. Einzelne Stimmen dringen daraus hervor, doch ihre Worte ergeben keinen Sinn, zumindest keine Ordnung. Das Flüchtige, die Vergänglichkeit schlägt auf "Until the quiet comes" jede andere Konstante, die dagegen stehen könnte. Denn eines bleibt für alle Ewigkeit sicher: Nichts bleibt für immer. Es geht nur in einem Zug. Es könnte nämlich der letzte sein.

Wertung: 9 von 10 Punkten

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