"Dicker als Wasser": Neue Schau im Erlanger Kunstpalais

2.10.2016, 18:00 Uhr

© Foto: Harald Sippel

Was ist eine Familie? Was macht ihren Kern aus? Inwiefern ersetzen Netzwerke und Freunde heute klassische Familienstrukturen? Und welche Rolle spielen Haustiere darin? „Dicker als Wasser“ heißt die anregende Schau, in der sich internationale Künstler mit dem weiten Feld der Familienangelegenheiten befassen.

Auffallend dabei: In vielen Arbeiten kreisen die Künstler um die eigene Verwandtschaft. So wie Tobias Yves Zintel in seinem bewegenden, 40 Minuten langen Film „Mental Radio“. Es geht darin um seinen Bruder Marcus. „Der gehört ins Heim oder in die Psychiatrie, auf jeden Fall nicht hierher“, sagt der Vater, während er mit seiner Ehefrau versucht, das Chaos zu beseitigen, das der randalierende Sohn im heimischen Wohnzimmer angerichtet hat. Marcus ist Autist, 44 wird er bald, ist aggressiv und unberechenbar und geht ohne Spielzeugschweine nirgendwohin. In Rückblenden und Interviews mit seinen Eltern collagiert Zintel das Bild dieser Familie in ihrer Dauerextremsituation. Ins Heim haben sie Marcus, den „scheißdummen Deppen“, wie der Vater nach der Verwüstungsaktion poltert, nicht gegeben, äußern sich ebenso abgeklärt wie liebevoll über den Sohn und Sonderling, den man in dem Film nicht zu Gesicht bekommt.

Um Geschwister(liebe) geht es auch bei Candice Breitz. Sie lässt eineiige Zwillinge und Drillinge, die identisch gekleidet und frisiert sind, über ihre Beziehungen, den Wunsch nach Abgrenzung und den Reiz oder die Bürde des Doppelgängertums sprechen.

Eine Langzeitstudie der besonderen Art liefert Ragner Kjartansson, Künstler aus Island, gleich im Foyer — sozusagen als Auftakt zu diesem „Familientreffen“: Alle fünf Jahre filmt er sich mit seiner Mutter immer vor der gleichen Bücherwand. Das Verhältnis der beiden? Offenbar schwierig, aber auch eng. Resolut und mit entschlossenem Blick spuckt die alte Dame den Sohn an. Immer wieder. Der erträgt’s stoisch. Eine ebenso witzige wie ambivalente Performance aus einer schrecklich netten Familie.

Die Liebe zum Haustier

Und wenn wir schon bei perversen Handlungen und Ekelfaktor sind: Den mit Abstand höchsten in dieser Ausstellung hat eine Bildergalerie von Haustieren. Das (weibliche) Künstlerkollektiv Neozoon hat aus dem Internet Filmchen von Hunde- und Katzenhaltern über ihre Lieblinge zusammengeschnitten. Die werden von ihren Besitzerinnen bis zum äußersten liebkost, intensiv geküsst, ja sogar gestillt. Wenn jedem Kind so viel körperliche Nähe und Liebe zuteil würde, wäre die Welt besser. . .

Vater, Mutter, Kind, dieses klassische Familienbild ist schon lange nicht mehr das allein gültige. „Neue Familienporträts“, wie sie Verena Jaekel in San Francisco und Berlin aufgenommen hat, zeigen gleichgeschlechtliche Partner mit ihren Kindern, die sie adoptiert oder per Leihmutterschaft bekommen haben. Ein Plädoyer für Gleichberechtigung sieht Jaekel in dieser Serie, über deren Entstehung sie auch bei der Begleittagung „Konzepte von Familie in Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst“ berichten wird.

Kunstpalais Erlangen, Palais Stutterheim, Marktplatz 1, 24. September bis 29. November, Di.-So. 10.18, Mi. 10-20 Uhr. Tagung am 24./25.9. jeweils ab 10 Uhr. Teilname frei. www.kunstpalais.de

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