Die Geister der Vergangenheit

8.11.2010, 23:02 Uhr
Die Geister der Vergangenheit

© Stefan Hippel

Die Frau mit dem ungewöhnlichen Namen schreibt ungewöhnliche Geschichten. Irmi Kistenfeger-Haupt, die in ihrer Jugend zwei Jahre in Paris gelebt hat, ist offensichtlich vom französischen Surrealismus beeinflusst. So sind manche ihrer Stories fantastische Mixturen aus Traum und Realität, detailfreudige Beschreibungen seltsamer Reisen durch Zeit und Raum.

Da erklingt im Nürnberger Villenviertel Ebensee die DDR-Hymne, brave Opportunisten verwandeln sich urplötzlich in glühende Revolutionäre und eine seit Jahrhunderten verlassene Abtei erwacht zu neuem Leben. Literarischen Reiz gewinnen diese Texte nicht durch eine gradlinige Handlung, sondern durch die Entführung des Lesers in das Reich des Unbewussten, in die Welt der verdrängten Ängste und verborgenen Sehnsüchte. Der Autorin gelingen dabei nachhaltig beeindruckende Szenen, ebenso ironische wie melancholische Beispiele für die tragikomische Verrücktheit der menschlichen Existenz. Vorgeführt werden einsame, verwirrte Zeitgenossen, deren Lebenswege in der Resignation enden, in Torheit und Selbsttäuschung oder gar im Wahn.

Die Schriftstellerin berichtet von verpassten Chancen und von uneingelösten Heilsversprechen, vom raschen Ende kleiner Fluchten und von gescheiterten Neuanfängen. In fast allen Erzählungen des vorliegenden Bandes werden die Akteure von Gespenstern aus ihrer Vergangenheit heimgesucht. Da gibt es Fleisch gewordene Angstbilder aus der Zeit des Kalten Krieges oder die Verkörperungen von Schuld- und Minderwertigkeitsgefühlen, die eine autoritäre Erziehung erzeugt hat.

Vor diesen Dämonen flüchten viele der beschriebenen Menschen in die vermeintliche Sicherheit, welche die Normalität des täglichen Einerlei bietet. Mit zunehmendem Alter wird jedoch vielfach auch diese Position unsicher. Die beiden letzten Geschichten der bemerkenswerten Sammlung thematisieren die Reduktion des Individuums zum Pflegefall.

So schlimm muss es nicht in jedem Fall kommen, aber über die populäre Suche nach einem dauerhaft wirksamen Anti-Aging-Rezept kann Irmi Kistenfeger-Haupt nur nachsichtig lächeln. Das Altern ist und bleibt für die Betroffenen ein in vieler Hinsicht schmerzlicher Vorgang.

Auch noch die fantasievollsten Erzählungen im vorliegenden Buch vermitteln dies in aller Deutlichkeit, aber ohne jeden Anflug von Larmoyanz. Respekt!

Irmi Kistenfeger-Haupt: TagNächte, Wiesenburg Verlag, 120 Seiten, 9,90 Euro. Die Autorin liest am 23. November um 14 Uhr im Schloss Almoshof und am 2. Dezember um 19.30 Uhr im Zeitungs-Café Hermann Kesten.