Die Geschichte des Porzellans

20.1.2017, 16:15 Uhr
Die Geschichte des Porzellans

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Wer alle Tassen im Schrank hat und sich nicht darum schert, ob die von Rosenthal oder nur von Woolworth sind, der würde wahrscheinlich nie auf die Idee kommen, ein 400-seitiges Buch über Porzellan zu lesen. Was er da versäumt, kann man nach der höchst anregenden Lektüre von Edmund de Waals „Die weiße Straße“ erst ermessen, die einen den Spuren einer außergewöhnlichen Leidenschaft folgen lässt.

Und am Ende ist es die Farbe dieser reinen, höchst zerbrechlichen Gebrauchs- und Kunstgegenstände, die einem ein seltsames Glücksgefühl beschert: dieses Weiß, schreibt de Waal, sei eine Art, „neu zu beginnen, seinen Weg zu suchen, eine Route und einen Umweg zu sich selbst.“

Der 1964 geborene britische Autor hatte schon vor Jahren einen Welterfolg mit einer ganz anderen Spurensuche: In der wundervoll geschriebenen Recherche „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ verfolgte er den tragischen Weg seiner jüdischen Familie, ausgehend von nicht minder unscheinbaren Gegenständen wie jetzt bei dem Porzellan-Buch. Damals waren es Netsuke, kleine Glücksbringer, japanische Miniatur-Schnitzereien aus Elfenbein oder Holz, die ihn rund um die Erde und in die letzten beiden Jahrhunderte schickten, damit er von der existenziellen Bedrohung einer Familien-Kultur erzählen konnte, für die politische Entwicklungen verantwortlich waren.

De Waal ist im „Brotberuf“ tatsächlich Töpfer und hat es in diesem Metier zum Künstler geschafft, dessen Werke in Galerien auf der ganzen Welt ausgestellt werden. Um seine Leidenschaft besser verstehen zu können, unternimmt er nun eine Reise durch die Geschichte des weißen Goldes, die ihn von China nach Dresden, von Versailles nach Amerika, von Plymouth bis nach Dachau führt: von den Zentren der Herstellung und Kunstfertigkeit also bis in dunkle Winkel, denn auch die Nazis hatten durchaus Interesse an den wertvollen Objekten.

Und immer ist es dieses Weiß, matt oder glänzend, changierend und auf rätselhafte Weise unschuldig, das de Waal leitet und oft genug auf anregende Nebenpfade führt (bis hin zu „Moby Dick“ oder gar Paul Celan und John Cage).

Wie hier Wissenswertes, Erstaunliches (die Geheimniskrämerei um die richtigen Rezepturen), Tragisches (die Biographien und Irrfahrten mancher Töpfer) mit sinnlichem Erleben verknüpft wird, ist kühn und einzigartig.

Mit keiner Zeile langweilt de Waal seinen Leser, den er sofort zu dem Gedanken leitet, dass er das alles irgendwie doch schon immer einmal selber erforschen wollte – als er eine seiner Tassen in die Hand nahm, egal ob von Rosenthal oder Woolworth.

Edmund de Waal: Die weiße Straße. Paul Zsolnay Verlag, 464 Seiten, 26 Euro

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