Die Kunst des schönen Scheiterns

2.2.2015, 13:10 Uhr
Die Kunst des schönen Scheiterns

© Foto: Jim Albright

Die Premiere stand unter keinem guten Stern. Am Abend vorher war einer der beiden Hauptdarsteller erkrankt. Regisseur Steffen Pietsch, selbst gelernter Schauspieler, sprang ein und übernahm – mit dem Textheft in der Hand – den „Wladimir“. Das rettete die Vorstellung, vermittelte einen Eindruck seiner Inszenierung und bot eine paradoxe Situation: An Pietschs Blick ins Textheft brach sich der Spieleifer der anderen. Man sah eine fertig durchgearbeitete Produktion und eine Vorstufe davon.

Steffen Pietsch machte das Beste aus der Lage. Sein Wladimir hatte etwas von einem komischen Pedanten, der vor dem Reden seine Worte mit seinen Notizen abgleicht. Pietsch las jedoch lebendig und spielte sich mit einem verschmitzten Lächeln allmählich frei. Dass Holger Stolz, ein sehr präsenter und agiler Estragon, ihm gegen Ende hin das Heft aus der Hand schlug und so kurz für Unordnung und mitleidende Zuschauer sorgte, nahm Pietsch souverän wie ein Jongleur, dem ein Ball herunterfällt. Er spielte gut gelaunt weiter.

Wie überhaupt die Lust am Spielen, an Körperkomik und Slapstick regierte. Auch dass mitten in der Aufführung Pozzos Stuhl zerbrach und später eine Gerte, brachte die Spieler nicht aus dem Takt. Requisiten-Ersatz war wie von Godots Hand schnell hereingereicht. Als Regisseur versetzt Steffen Pietsch das Stück in die Gegenwart. Er denkt dabei Pierre Temkines Lesart weiter, die „Warten auf Godot“ im besetzten Frankreich der 40er Jahre verortet. Wie von Temkine vorgeschlagen, könnten auch bei Pietsch Flüchtlinge auf ihren Schleuser warten. Die gängige Lesart, die auf religiöse und philosophische Fragen zielt, verliert so an Gewicht, bleibt aber in Pietschs Deutung gegenwärtig.

Mit ein paar liebgewordenen Konventionen dieses Stücks, das vor über sechzig Jahren einmal selbst unkonventionell war, bricht Pietsch außerdem. Bei ihm weitet sich der Raum nicht ins Unendliche. Ausstatterin Ulrike Schlafmann begrenzt ihn im Hintergrund mit zwei hohen Zäunen, über die schon Flüchtlinge geklettert sein könnten. Klinisches Weiß statt existenzialistisches Schwarz dominiert die Szenerie. Becketts kahles Bäumchen, der karge Rest von Natur, ist einer Straßenlaterne gewichen.

Wladimir und Estragon, die beiden Wartenden, tragen hier keine Bowler Hats, sondern Wollmütze und Baseballkappe. Und der dicke Pozzo (strahlend vor Wohlstandszufriedenheit: Dave Wilcox) hat keinen Anzug mehr an, sondern Bermuda-Shorts, während der schlotterige Lucky (bejammernswert erschöpft: Johannes Berg) in einen Trenchcoat geschlüpft ist – ein ungleiches Paar wie aus einer Comedyserie. Härter, kälter, greller wird „Warten auf Godot“ so.

Weitere Vorstellungen: 4. bis 6. sowie 10. bis 12. Februar. Karten-Tel.: 09 81/9 704 00.

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