Die letzte Liebe des Schriftstellers Franz Kafka

26.8.2011, 00:00 Uhr
Die letzte Liebe des Schriftstellers Franz Kafka

© dpa/Lask Collection

Es geht um ein ebenso anrührendes wie tragisches Thema. Denn der sensible Dichter und ewige Junggeselle Franz Kafka war geradezu ein Spezialist für unglückliche Liebesbeziehungen. Wie er sich in die Herzen der Damen schrieb, nach Nähe suchte und zugleich verzweifelt versuchte, sie auf Distanz zu halten, das belegen aufs Schönste seine Briefe an Felice Bauer und Milena Jesenská.

Die letzte Liebe des Schriftstellers Franz Kafka

© Lask Collection / Kathi Diamant

Am wenigsten wusste man lange Zeit über die Frau, die Kafka erst ein Jahr vor seinem Tod kennen gelernt hat: Dora Diamant – ein Name wie ein Pseudonym oder ein Parfüm. Ähnlich wie Martin Walser in seinem Roman „Ein liebender Mann“ dem alten Goethe der Marienbader Elegie ein Denkmal setzt, nähert sich Michael Kumpfmüller dem tod- und liebeskranken Autor der späten, symbolträchtigen Kurzgeschichte von der Mäusesängerin Josephine. Das Schöne daran ist: Man muss gar nichts von Franz Kafka und Dora Diamant wissen, um an dieser wunderbar einfühlsam und diskret geschriebenen Liebesgeschichte Gefallen zu finden.

Kumpfmüller, der mit dem Schelmenroman „Hampels Fluchten“ bekannt geworden ist, kennt die Sekundärliteratur ebenso gut wie die Originalquellen, geschickt zitiert er Kafkas Briefe und Tagebücher. Sie liefern ihm die authentischen Anhaltspunkte für seinen zauberhaften Roman, der zum Glück alles andere als akademisch trocken daherkommt. Das dürftige Material lässt Kumpfmüller genügend dichterische Freiheit, um das letzte Lebensjahr Kafkas aus wechselnder Perspektive zu rekonstruieren. Ob es wirklich so war, ist unwichtig. Es könnte jedenfalls so gewesen sein.

Demnach müssen wir uns Kafka am Ende als halbwegs glücklichen Menschen vorstellen. Zumindest steht er in seinen letzten Monaten „an der Schwelle des Glücks“. Tragisch daran ist die Tatsache, dass er sich mit dem Leben erst versöhnte, als er dem Tod in die Augen schaute.

Das Tagebuch-Zitat im Titel ist nicht zynisch gemeint: „Die Herrlichkeit des Lebens“ zeigt sich, wenn man sie mit ihrem „richtigen Namen“ ruft. In diesem Falle Dora Diamant. Das kurze Glück begann im Sommerurlaub 1923, den Kafka mit der Familie seiner Schwester Elli an der Ostsee verbrachte. In Müritz verliebte sich der 40-jährige Frührentner in die 25-jährige Dora, die als Köchin in einem jüdischen Kinderheim arbeitete. Sie stammte aus einer orthodoxen polnischen Familie und hatte mit Literatur nicht viel am Hut. Doch der scheue Schriftsteller, alles andere als von Erfolg verwöhnt, war fasziniert von dieser jungen, herzlichen Frau, die im Gegensatz zu ihm mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand.

Tatsächlich schmiedet das ungleiche Paar nach der ersten zarten Annäherung Zukunfts- und sogar Heiratspläne: In Berlin will man eine gemeinsame Wohnung beziehen. Für den zögerlichen Kafka die letzte Gelegenheit, sich von seiner Familie und dem übermächtigen Vater in Prag zu lösen. Seine Tuberkulose-Krankheit macht dem Schriftsteller aber immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Doch schließlich finden die beiden eine möblierte Wohnung in Berlin-Steglitz und bleiben den Winter über dort. Die Zeiten sind schwierig, das Geld ist knapp, die verheerende Inflation treibt die Preise in schwindelerregende Höhen. Trotz der widrigen Umstände muss die Berliner Zeit wohl zu den glücklichsten Momenten in Kafkas Leben gerechnet werden.

Trauriges Ende

Dora Diamant kümmert sich rührend um den kränkelnden Mann, der alle Kräfte zusammennehmen muss, um ein paar Kurzgeschichten zu schreiben, die in seinen Augen Bestand haben. Dann verschlimmert sich sein Zustand, er muss zurück nach Prag, es folgen Klinik- und Sanatoriumsaufenthalte. Am 3. Juni 1924 stirbt Kafka in den Armen seiner Geliebten.

Kumpfmüller gewinnt dem traurigen Ende sogar etwas Tröstliches ab. Er zeigt den großen Schrifsteller, dem auf Erden nicht zu helfen war, auf respektvoll-anrührende Weise so, wie man ihn bisher nicht kannte – als liebenden Mann, der endlich mit sich im Reinen ist.

Michael Kumpfmüller: Die Herrlichkeit des Lebens. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln. 239 Seiten, 18,99 Euro.

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