Die lustvolle Rache der Gescheiterten

13.2.2017, 10:34 Uhr
Die lustvolle Rache der Gescheiterten

© Foto: Petro Domenigg / Majestic

Der Österreicher, als Kabarettist und Privatdetektiv Brenner in den Wolfgang-Haas-Verfilmungen eine Instanz, hat es gleich mit seinem Regie-Debüt „Wilde Maus“ ins Bärenrennen geschafft. Und schon der Titel kündigt an: Das Leben ist eine Achterbahnfahrt, bei der es einen schon mal heftig aus der Kurve schleudern kann. Im Film trifft es einen Wiener Musikkritiker, gespielt von Hader selbst, dem Knall auf Fall gekündigt wird und der auf Rache sinnt.

Doch eine bissige Mediensatire, gar einen Abgesang auf das Zeitungsgewerbe hatte der 54-Jährige nicht im Sinn. Seinen Musikkritiker Georg sieht er als Beispiel für all diejenigen, denen in neokapitalistischen Zeiten der Boden unter den Füßen weggerissen wird.

Journalisten seien heute das, „was im England der 80er Jahre die Grubenarbeiter waren.“ Wenn Hader das sagt, muss man trotzdem lachen. Allerdings ist bei Georg die Fallhöhe besonders groß: Der kleine mächtige König über die Hochkultur verliert mit seiner Arbeit viel mehr als nur den Job.

Weil er das selbst nicht wahrhaben will, erzählt Georg seiner Frau (fabelhaft wie das gesamte Ensemble: Pia Hierzegger) erstmal nix von der Kündigung. Den Lesern, die seine Kritiken vermissen, schwindelt er vor, er schreibe jetzt ein Buch über den Orchesterklang vom Barock bis zur Gegenwart. Tatsächlich treibt er sich herum, schlitzt – Auftakt seines Rachefeldzugs – das schicke Cabrio des Feuilletonchefs (Jörg Hartmann) auf, tuckert mit der Kinder-Eisenbahn allein durch einen Park und landet schließlich auf dem Rummelplatz, wo er mit dem arbeitslosen Erich (Georg Friedrich) eine ramponierte Achterbahn, die „Wilde Maus“, wieder auf Vordermann bringt.

Pubertärer Amokläufer

Das sind wunderbare Metaphern für das Abstellgleis, auf dem sich der Musikkritiker befindet. Und Hader schont sich nicht. Sein Georg mutiert zum pubertären Amokläufer, einmal rennt er durch den tiefen Schnee, wo er sich fast nackt eine Kuhle buddelt, um mit Schlaftabletten und Whiskey dem Elend ein Ende zu machen. Der Österreicher spielt diesen Egomanen so, wie man ihn kennt – als bärbeißigen, aber liebenswerten Misanthropen – und liefert zugleich ein tolles Regie-Debüt ab. So lustig wird's auf dieser Berlinale wohl nicht mehr.

Wenig zu lachen haben die Frauen in den Wettbewerbsbeiträgen aus Chile, Frankreich und Polen, doch unterkriegen lassen sie sich nicht. „A Fantastic Woman“ von Sebastián Lelio erzählt von der Transgender-Frau Marina, deren wesentlich älterer Geliebter Orlando unerwartet stirbt. Orlando hatte für Marina seine Frau verlassen, nun bekommt die Kellnerin und veritable Sopranistin den brutalen Hass seiner Familie zu spüren, für die Menschen wie sie ein „Stück Scheiße“ sind.

Hilfe kann Marina in einer Gesellschaft, die ihre sexuelle Identität als Bedrohung empfindet, nicht erwarten. Neben ihrer Würde wird ihr auch das Recht auf Trauer abgesprochen. Doch das erkämpft sich die verletzliche und zugleich mutige Frau auf ihre Weise. Schauspielerin Daniela Vega empfiehlt sich damit als heiße Anwärterin für den Silbernen Bären.

Ein Kampf ist das Leben auch für Félicité im gleichnamigen Film von Alain Gomis, der in die kongolesische Hauptstadt Kinshasa führt. Auch Félicité (Véra Tshanda Beya) schlägt sich als Sängerin durch – in heruntergekommenen Bars voller betrunkener Männer. Ihre Stimme zeugt von der Energie einer stolzen Frau. Doch als ihr Sohn verletzt wird und sie dringend Geld braucht für die notwendige Operation, erfährt sie die Unsolidarität einer von den erbärmlichen Lebensverhältnissen verrohten Gesellschaft. Mit der Kamera immer nah an seiner Protagonistin gelingt Gomis ein atmosphärisch dichtes Porträt, dessen versöhnliche Auflösung allerdings nicht überzeugt.

Die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland führt in „Pokot“ in ein abgelegenes Bergdorf, in dem die pensionierte Brückenbauingeneurin Duszejko (Agnieszka Mandat) in Eintracht mit der Natur und ihren beiden Hunden lebt. Eines Tages sind die Hunde verschwunden. Als Duszejko auf der Suche nach ihnen im Wald ein aufgehängtes und entsetzlich zugerichtetes Reh entdeckt, wächst in ihr der Verdacht, dass die Männer, die hier regelmäßig auf Jagd gehen, grausame Wilderer sind.

Anzeigen bei der Polizei bleiben fruchtlos, der Pfarrer erklärt, dass es Sünde sei, mit Tieren dasselbe Mitleid zu haben wie mit Menschen. Also macht sich Duszjeko daran, den Wilderern selbst das Handwerk zu legen. Radikal, anarchisch und mit Gespür für komische Momente inszeniert Holland einen Rachethriller, der trotz mancher Ungereimtheiten den großen Spannungsbogen schafft.

Mit „Helle Nächte“ von Thomas Arslan geht heute der erste der drei deutschen Bärenkandidaten an den Start. Die Konkurrenz hat die Messlatte schon mal hochgelegt.

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