Düsteres Kammerspiel: So gut ist der Jubiläums-"Tatort"

13.11.2016, 21:45 Uhr
Düsteres Kammerspiel: So gut ist der Jubiläums-

© NDR/Meyerbroeker

Jubiläen sind eine schöne Sache. Schließlich liegt ihnen ein freudiger Anlass zugrunde. Dass ihnen aber auch, je größer und runder sie sind, etwas Furchteinflößendes anhaften kann, weiß Alexander Adolph. Der Münchner Filmemacher hatte vom Ersten die Einladung erhalten, den 1.000. Fall im "Tatort" zu übernehmen - Ehre wie Bürde zugleich. Adolph, "Tatort"-erfahren und Erfinder von Reihen wie "Unter Verdacht" und "München Mord", ist dieser Aufgabe mit dem größtmöglichen Respekt begegnet.

Wie es sich für einen guten Autor gehört, ließ Adolph seinen Gedanken freien Lauf, bevor er sich ans Drehbuch wagte. Der allererste "Tatort" trug den Titel "Taxi nach Leipzig". Warum also genau das nicht wörtlich nehmen? Es könnten wieder Leute in einem Taxi sitzen. Sie könnten erneut nach Leipzig fahren. Vielleicht wollen gar nicht alle Insassen dort hin. Eine Idee manifestiert sich.

Ein beklemmendes Kammerspiel zwischen den Leuten im Innern eines Taxis entsteht. Die Beziehungen der Menschen zueinander aber auch ihre völlig widersprüchlichen Gefühle erscheinen wie unter einem Vergrößerungsglas. Adolph bucht den Kommissaren ein Ticket für eine Reise in die Dunkelheit. Dort begegnen sie sich selbst und dem Tod.

Es fährt ein Taxi nach Leipzig

Die Kommissare Lindholm (Maria Furtwängler) und Borowski (Axel Milberg) nehmen an einem Polizeiseminar in Braunschweig teil. Beide verlassen zur gleichen Zeit den Vortrag über Gewaltprävention und Deeskalationstaktik. Hätten sie dabei mal besser zugehört. Denn nun hält das Schicksal für sie und Sören Affeld (Hans Uwe Bauer) - dritter Fahrgast und penetranter Kollege von Borowski - eine furchteinflößende Fahrt im Taxi von Rainald (Florian Bartholomäi) bereit.

Dieser Mann befindet sich nämlich in einer emotionalen Schieflage. Rainald ist ehemaliger KSK-Soldat. Aufgrund einer Fehlinformation eines Vorgesetzten hat er Zivilisten erschossen und bald darauf den Dienst quittiert. Dass dieser Vorgesetzte (Trystan Pütter) jetzt der neue Freund und zukünftige Ehemann seiner großen Liebe Nicky (Luise Heyer) ist, macht ihn wütend. Gute Laune verspürt der ehemalige Elitesoldat also schon lange nicht mehr. Erst recht nicht an diesem Tag. Denn heute feiert die Ex in Leipzig Geburtstag. Da kann Rainald noch tausendmal versuchen, sich einzureden, dass ihm dieser Tag nichts anhaben kann.

Reise ohne Wiederkehr

Rainalds Ziel ist also die alte Messestadt. Er will Nicky ein letztes Mal sehen, mit ihr reden. Nichts soll ihn auf dieser Reise aufhalten. Auch keine drei Kommissare. Die sind sich überdies uneins, mit welcher Taktik sie den Psychopathen stoppen können. Dass er selbst am Ende dieser Reise sterben wird, hält Rainald für höchstwahrscheinlich. Dieser gefühllose Fahrer, der mit dem Leben seit Langem abgeschlossen hat, macht "Taxi nach Leipzig" zu einem so außergewöhnlichen Thriller.

Um die Dramatik zusätzlich von der Seite zu befeuern, wendet Adolph einige filmische Kniffe an. So ist der Jubiläums-"Tatort" in vier Kapitel unterteilt. Den Beginn eines jeden Abschnitts kündigt ein furchteinflößender Ton an, der dem eines mächtigen Schiffshorns nahe kommt.

Dazu kann der Zuschauer in die Köpfe der Darsteller sehen. Adolph lässt die Gedanken der Insassen Wirklichkeit werden. Dadurch gerät man der sich nach Liebe sehnenden Tötungsmaschine ungemein nahe. Ja, man entwickelt sogar ein bisschen Empathie. Vor allem dann, wenn Rainald am Ende seiner Ex gegenübersitzt. Er wollte ihr die Wahrheit an den Kopf knallen. Nichts als die Wahrheit über Nickys Zukünftigen. Doch alles, was Rainald bei der Gegenüberstellung aus seinen schmalen Lippen herauspressen kann, ist ein knappes, jedoch alles sagendes "Ich liebe Dich".

Borowski ein Kotzbrocken

Dank der inneren Monologe kommt man auch den Kommissaren so nahe wie sonst nur ein Polizeipsychologe. Borowski befiehlt sich, nicht zu schwitzen. Darüber hinaus entlarvt er sich selbst als gefälligen Kotzbrocken, der sich nach der Überführung eines Mörders zu schade ist, den Müll runterzubringen. Lindholm beichtet ihre Verlassensängste, die sie seit ihrer Kindheit begleiten. Diese Kniffe fungieren nicht nur als nette Nebeneffekte, sondern sind eng mit den Thriller-Momenten verwoben. Alles baut aufeinander auf. Alles steht in einer Beziehung zueinander. Selbst die Szene, in der Borowski sich zwei Kekse in die Hosentasche steckt, ist später von großer Bedeutung.

"Taxi nach Leipzig" ist ein würdiger Jubiläums-"Tatort" mit dem Flair eines Kammerspiels. Dank Adolphs Knowhow kommt er ohne künstliche Übertreibungen aus und zeigt obendrein als nettes Gimmick den einen oder anderen Überlebenden früherer Fälle in kleinen Gast-Auftritten.

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