Ein Beben erschüttert die Buchbranche

20.2.2019, 08:20 Uhr
Ein Beben erschüttert die Buchbranche

© Foto: Marijan Murat/dpa

Die Nachricht, die Ende letzte Woche die Verlagslandschaft schockierte, klang für Außenstehende nicht besonders aufregend: Der Buch- und Mediengroßhändler Koch, Neff & Volckmar (KNV-Gruppe) musste beim Amtsgericht Stuttgart Insolvenz anmelden, nachdem ein möglicher Investor abgesprungen war. Dazu muss man wissen, dass sich KNV den deutschen Buchmarkt mit dem Konkurrenten Libri nahezu aufteilt.

Die Großhändler sind ein unverzichtbares Bindeglied zwischen Buchhandel und Verlagen. KNV, ein marktbeherrschendes Familienunternehmen mit langer Tradition, hat in seinem riesigen Logistikzentrum in Erfurt rund 590 000 lieferbare Titel von über 5000 Verlagen ständig auf Lager. Damit können über 95 Prozent des täglichen Bedarfs einer großen Buchhandlung abgedeckt werden. KNV beliefert insgesamt 5600 Buchhandelsfilialen im deutschsprachigen Raum. Dank eines ausgeklügelten Auslieferungssystems kommen bestellte Bücher über Nacht in die Geschäfte. Ein entscheidender Vorteil – auch gegenüber einem Internet-Riesen wie Amazon, denn dort dauert es in der Regel ein paar Tage, bis der Kunde die Ware erhält.

"Mittlere Katastrophe"

"Mich hat die Nachricht schockiert", sagt Thomas Kistner, Geschäfstführer der Buchhandlungen Korn & Berg und Jakob in Nürnberg sowie Edelmann in Fürth. "Für uns ist die KNV-Krise keine Tragödie, aber für die Branche könnte sich das zu einer mittleren Katastrophe entwickeln." Jahrzehntelang war Kistners Unternehmen Kunde von KNV, zuletzt mit einem Umsatz von einer Million Euro. Allerdings wechselte es letztes Jahr zum Konkurrenten Libri, weil KNV wiederholt Lieferschwierigkeiten hatte. Branchenkenner betonen, dass die KNV-Krise nicht aus heiterem Himmel gekommen sei, sondern sich schon lange angekündigt habe. Das Unternehmen, das von Oliver Voerster geführt wird, sei hochverschuldet und habe sich vor allem mit dem hypermodernen Logistikzentrum in Erfurt völlig übernommen, das immer noch nicht rund läuft.

Der vorläufige Insolvenzverwalter von KNV will die Unternehmensgruppe retten. Ziel sei es, den größten deutschen Buchgroßhändler fortzuführen und möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten, teilte Rechtsanwalt Tobias Wahl in Stuttgart mit. Die Löhne und Gehälter der rund 1800 Beschäftigten seien bis Ende April durch das Insolvenzgeld gesichert. Aber es geht um weit mehr als um das Schicksal der KNV-Mitarbeiter. In Gefahr ist das bewährte, schnelle Liefersystem, in Gefahr sind auch viele Verlage, die von KNV oder dem angeschlossenen Auslieferer LKG (Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft) abhängig sind. Nicht nur Thomas Kistner warnt vor einem drohenden Domino-Effekt mit unabsehbaren Folgen.

Auch der Cadolzburger Verlag ars vivendi wickelt einen Großteil seiner Geschäfte über LKG ab. Dort sind die Bücher gelagert. Das System funktioniert folgendermaßen: Der Kunde bestellt und bezahlt ein Buch in der Buchhandlung; diese gibt die Bestellung weiter an den Großhändler beziehungsweise den Auslieferer, der den gewünschten Titel an die Buchhandlung schickt und (mit gebührender Verzögerung) den Verlag bezahlt.

Norbert Treuheit, der ars-vivendi-Verleger, fürchtet, dass auch LKG, eine hundertprozentige Tochter von KNV, mit in die Insolvenz gerissen wird. Dann würde der Liefer- und Zahlungskreislauf unterbrochen. Für das traditionell mit geringen Gewinnmargen arbeitende Verlagsgeschäft wäre das eine Horrorvision. Kleinverlage haben meist nur wenig Rücklagen und könnten dann Aufträge und Angestellte bald nicht mehr zahlen.

"Ich kann nur hoffen, dass sich schnell ein neuer Investor für KNV findet, damit die Geschäfte weitergehen und die monatlichen Zahlungen nicht ausbleiben," sagt Treuheit.

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