Ein Mann mit vielen Talenten

19.3.2015, 19:52 Uhr
Ein Mann mit vielen Talenten

„Mein letztes Konzert“ heißt der Streifen, den Selcuk Cara im Kurzfilmwettbewerb zeigt. Ein außergewöhnlicher Film, der durch seine kunstvollen Schwarz-weiß-Bilder fasziniert und von einer alten Pianistin, einer Jüdin, erzählt, die als Kind schuldlos schuldig wurde. Ihr Leben lang hat sie darunter gelitten, die Wunden sind nie verheilt. Es ist ein Film über die Shoah, der eine andere Perspektive als üblich auf das Thema eröffnet und auf Festivals von Montreal über Rhode Island und New York bis Saarbrücken beim Max Ophüls Preis 2015 Furore machte.

Man könnte viele Fragen an Selcuk Cara stellen, zuerst aber die: Wie kommt ein Opernsänger dazu, Filme zu drehen? Der 2010 verstorbene Werner Schroeter, als Regisseur selbst in beiden Sparten tätig, gab den Anstoß, erzählt Cara. Mit ihm arbeitete er 2005 an der Oper Bonn zusammen. Ihm zeigte er seine Drehbücher – das Schreiben wurde für Cara schon früh ein Mittel gegen die Einsamkeit bei seinen Gastspielreisen. Schroeter befand, das seien Stoffe für Autorenfilme, die müsse er unbedingt selber machen. 2010 begann Cara dann ein Regiestudium an der FH Dortmund.

International unterwegs

Zugleich ist er international als gefragter Bass unterwegs, zu seinen größten Erfolgen zählen die Partie des Kaspar im „Freischütz“ und Hagen in Wagners „Götterdämmerung“. Die Oper wurde im Wagner-Jahr 2013 mit der NDR-Radiophilharmonie eingespielt und weltweit ausgestrahlt. Wagner ist der Fixstern in Caras Karriere. Sein prägendster Gesangslehrer, der große Eike Wilm Schulte, der ihn oft nach Bayreuth mitnahm, weckte in seinem Schüler die Faszination für dessen Musik. In Bayreuth singen würde Cara jedoch nicht. Die einstige Nähe der Wagner-Familie zu Hitler hält ihn davon ab.

Die Shoah, der Nationalsozialismus sind Themen, die den 1969 im hessischen Langen geborenen Sohn türkischer Einwanderer nicht loslassen. Als Grund nennt er die starke Präsenz der rechtsextremistischen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) in seiner Heimatstadt. „Jedes Jahr gab es an Hitlers Geburtstag Fackelumzüge in Langen“, erinnert sich Cara an ein Bild aus seiner Jugend. An der Musikhochschule in Frankfurt habe er dann auch die elitäre Form der Deutschtümelei kennengelernt.

Dinge, die ihn mehr beschäftigen als seine Erfahrungen als Migrantensohn. Sicher, es gab Vorurteile. Bei der Aufnahmeprüfung in Frankfurt stellte eine Professorin erstmal fest: „Aha, ein Türke! Spricht der überhaupt deutsch? Hat der Abitur?“. Zum Abschied habe ihm ein Professor gesagt: „Wir sind stolz, dass Sie als Türke die deutsche Kultur insoweit verstanden haben, aber Sie sollten doch weiterhin von uns Rat annehmen.“

Den hat Cara nicht gebraucht. Er ist erfolgreich, bildet sich seine eigene Meinung. Auch über die aktuelle Situation in der Türkei. „Die ältere Generation hat noch ein Hühnchen mit Europa zu rupfen“, meint er, aber die jungen Leute seien nicht anders als im Westen. Wohlstand und Bildung seien entscheidend für die künftige Entwicklung. „Wenn es den Leuten gut geht, wenn sie Zugang zur Bildung haben, reagieren sie viel sensibler auf fundamentalistische Tendenzen.“

Zuhause im Jeverland

Dass die Türkei wirtschaftlich so gut dastehe, sei natürlich das Verdienst Erdogans. Zugleich ist Cara hoffnungsvoll, dass sich der in punkto Demokratieverständnis wenig profilierte Präsident damit „sein eigenes Grab schaufelt.“

Cara lebt heute mit seiner Frau und seiner vierjährigen Tochter im Jeverland an der Nordsee. Dort schreibt er an einem Tagebuch-Roman, der Ende des Jahres erscheinen soll, und an seiner Promotion über Wagners „Ring des Nibelungen“. 2016 geht er auf Israel-Tournee, 2017 wird er als Hans Sachs in die „Meistersinger von Nürnberg“ in den USA gastieren. Zudem bereitet er seinen ersten Langfilm vor, der von Marlene Dietrich handeln soll.

Dass er auch Philosophie bei Jürgen Habermas studiert hat, hessischer Meister im Breakdance und Vize-Europameister im Jazztanz war und den dritten Dan in der koreanischen Kampfsportart Kyeok-Too-Ki hat, wundert bei diesem Multitalent fast nicht mehr. Beim Nürnberger Festival ist Cara bis Sonntag zu Gast. Auch für Opernfans Gelegenheit zu einer spannenden Begegnung.

Die Filme des Kurzfilmwettbewerbs werden heute, 19 Uhr, und am Samstag, 15 Uhr, gezeigt. Das Festival dauert bis Sonntag. Preisverleihung am Samstag, 21 Uhr, im Festsaal des Künstlerhauses. Infos: www.fftd.net

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