"Ein Sommer am See": All die Momente einer Jugend

22.8.2015, 20:53 Uhr
Windy und Rose sehen sich, seit sie sich erinnern können, im Urlaub in Awago Beach.

© PR / Tamaki / Reprodukt Windy und Rose sehen sich, seit sie sich erinnern können, im Urlaub in Awago Beach.

Unter der Oberfläche schlummert eine ganz eigene Welt. Das weiß jeder, nachdem er unter Wasser zum ersten Mal die Augen öffnet. Sieht. Versteht. In ihrem Comic „Ein Sommer am See“ fangen die beiden Cousinen Mariko und Jillian Tamaki  genau diese  Momente im Leben von Rose und Windy ein, den beiden Mädchen, die sich jedes Jahr in Awago Beach sehen, seit sie sich erinnern können.

Doch diesen Sommer ändert sich alles. In dem kleinen Dorf spielt sich ein Drama um eine Schwangerschaft ab. Die Mutter von Rose geht auf Distanz, die kleine Familie droht zu zerbrechen. Und trotz der langen Tage am See und den längeren Nächten mit Horrorfilmen entfremden sich auch Mindy und Rose voneinander. Ihre Freundschaft könnte zerbrechen, obwohl es dafür keine andere Bedrohung als ihr Heranwachsen gibt.

„Ein Sommer am See“ gehört zu den Werken, die Nicht-Comicleser bekehren. Mariko und Jillian schöpfen erzählerisch viel heraus, was nur in dem Medium geht, landen dabei aber nicht in verkopften oder experimentellen Spielereien. Alleine die Abfolge der Panels, welche das Schwinden der Zeit an einem Tag beschreibt, am Morgen noch mit großer Doppelseite, am Abend nur noch mit kleinteiligen Bildern und Abrissen von Handlungen, zieht so tief in die Geschichte, dass es nach Seeluft riecht.

© Reprodukt/ PR

Jillian Tamakis lenkt mit ihren Bildern die Aufmerksamkeit von Mimik auf Landschaft, von Atmosphäre auf Dialog. Besonders die großen Panel geben die nötige Ruhe. Der See und die Nacht bremsen die Geschichte manchmal fast bis zum Stillstand. Dieses Schweifen, das Verweilen bei Aspekten können sonst vor allem Manga, so perfekt und authentisch hat das lange kein amerikanischer Comic mehr eingebunden. Dazu erlauben sich die Bilder kaum bis gar keine Farben. Lediglich ein leichter Blaustich scheint hier über den Panels zu liegen.

320 Seiten umfasst der Comic, der den diesjährigen Eisner Award in der Kategorie „Best Graphic Novel“ einheimste, den Oscar der Branche. Die Spannung ergibt sich hier aus den leisen Bildern, aus den Sätzen, die durchscheinen lassen, dass irgendwas zwischen den Figuren nicht stimmt.

Doch trotzdem schieben sich die eigenen Kindheitserinnerungen beim Lesen von „Ein Sommer am See“ ins Gedächtnis. Der Moment, in dem man das erste Mal einen Schwarm anhimmelte. Der Augenblick, in dem man alberne Tänze todernst nahm. Die Sekunde, in der wir merken, dass unsere Eltern genauso verwundbar sind wie wir selbst.

Dass dies so funktioniert, dass Mariko und Jillian Tamaki an tiefen Erinnerungen rühren, liegt vor allem an den beiden Hauptfiguren. Denn Mindy und Rose sind wunderbar unterschiedlich, ergänzen sich perfekt, nerven sich, raufen sich wieder zusammen.

Am Ende bleibt die ganz große Tragödie aus. Stattdessen endet „Ein Sommer am See“ mit einem Ticken. Noch einem. Und noch einem. Ein letztes Mal steht die Geschichte still. Nichts passiert mehr. Langsam bekommt die Oberfläche Risse. Darunter erscheint das, was uns zu Menschen macht. Und die Jugend zur schönsten Zeit des Lebens.

Mariko Tamaki wird am 23. November für eine Lesung nach Bamberg kommen.

Verwandte Themen


Keine Kommentare