Einblicke in den Kopf des Kaisers Augustus

16.11.2016, 16:05 Uhr
Einblicke in den Kopf des Kaisers Augustus

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Es ist schon kurios, dass in unseren Zeiten, wo das Briefeschreiben völlig aus der Mode gekommen ist, ausgerechnet ein Briefroman (im weitesten Sinne) dazu herhalten muss, das Bedürfnis nach literarischer Qualität zu befriedigen. Der Brief- bzw. Quellenroman „Augustus“ von John Williams ist zudem ein historischer Roman, der es mit den Fakten nicht allzu genau nimmt und dessen „Quellen“ allesamt erfunden sind.

Trotzdem will er ein einprägsam-genaues und poetisch stimmiges Bild des Mannes Augustus (45 Jahre Alleinherrscher des römischen Reiches von 31 v. Chr. bis 14 n. Chr.) und der augusteischen Zeit geben. Geht denn das? John Williams jedenfalls hat es gewagt, jener Williams, dessen Roman „Stoner“ kürzlich wiederentdeckt wurde und um den es einen mächtigen Hype gab.

Wie ein Chamäleon

Anhand von erdachten Briefen, Tagebüchern, Auszügen aus Memoiren und öffentlichen Verlautbarungen umkreist der Roman die Sphinx, wie Gaius Oktavius, genannt Augustus, immer wieder bezeichnet wurde, weil er ungreifbar schien wie ein Chamäleon. Erst im letzten Drittel des Buches bekommt er seine eigene Stimme. Zeitgenossen erzählen seinen Werdegang, der alles andere als unanfechtbar oder erhaben war, wie der  spätere Titel „Augustus“ – der Erhabene -, glauben machen könnte. Man braucht nur an die sogenannte Postkription zu erinnern, von Marc Antonius und ihm selber erstellte, öffentlich ausgehängte Todeslisten, die ein wahres Gemetzel unter der Elite Roms anrichteten.

Die darauf genannten Männer konnten von jedermann getötet werden; für ihren abgetrennten Kopf gab es ein lohnendes Preisgeld. Sogar der berühmte Redner Cicero lag zuletzt zerstückelt auf dem Podium des Senats: „Zwischen zwei abgehackten Händen der runzelige, eingeschrumpfte Kopf.“

Und so hangelt sich die Geschichte des Octavius-Augustus von Zeugnis zu Zeugnis, die alle mehr oder weniger im gleichen angenehmen, fast eleganten Stil geschrieben sind. Verbindende Texte gibt es nicht. Es obliegt dem Leser, den Zusammenhang herzustellen und in seiner Fantasie das zu produzieren, was er an Literatur schätzen mag: Lebendigkeit. Erschwert wird das allerdings durch den Umstand, dass die „Quellen“ nicht chronologisch, sondern nicht immer nachvollziehbar sprunghaft angeordnet sind.

Darüber hinaus erscheinen sie für eine so exzessive Gesellschaft wie die römische seltsam moderat in ihrem stilistischen Feinsinn, so als hätte das Denver von John Williams (möglicherweise beabsichtigt?) auf sie abgefärbt.

Untergangsvision

Sind wir lesend schließlich bei Augustus selber angelangt, gewinnen wir Einblick in den Kopf des Kaisers, der er partout nicht sein wollte, nur Princeps, erster unter den Bürgern Roms. Williams lotet philosophische Tiefen aus: Augustus blieb „unerlöst“. Er hatte keine Vorstellung von einer den Dingen und Ereignissen innenwohnenden, sinnspendenden Kraft wie das Christentum oder wie spätere Denker, zum Beispiel Hegel oder noch unheilvoller Karl Marx, die die Geschichte als ein sinnvolles Fortschreiten zu irgendwelchen hehren Zielen deuteten. Insofern unterscheidet ihn das auch, notiert der bekannte Philosoph John Gray über seine Lektüre des „Augustus“, von den großen, üblen Männern des 20. Jahrhunderts, die die schlimmsten Verbrechen im Namen einer Zukunftsvision verübten, die Augustus absolut lächerlich vorgekommen wäre.

Ganz stoisch sah er sogar den Untergang Roms voraus: „Die Barbaren werden die Stadt erobern. Aber darauf kommt es nicht an. Rom hatte seinen Augenblick, und der vergeht nicht spurlos.“

John Williams: Augustus. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. dtv, München. 474 Seiten, 24 Euro. Hörbuch (ca. 14 Stunden) im Hörverlag, München, 22,99 Euro.

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