Glücklich im Supermarkt

29.7.2018, 11:08 Uhr
Glücklich im Supermarkt

© Aufbau Verlag

Wie viel Anderssein erträgt eine Gemeinschaft, wie sehr müssen wir uns anpassen an die Erwartungen der anderen? Das kann man sich bei uns fragen, mehr aber vielleicht noch in Japan, wo Form und Auftreten noch höher gehängt werden als anderswo. Keiko kriegt das von kleinauf zu spüren. Sie versteht die Gefühlsäußerungen von anderen nur schwer, zeigt direkt, was sie denkt und eckt so schon in der Grundschule an. Denn als sie einer hysterisch weinenden Lehrerin einfach den Rock runterzieht, um sie zu beruhigen (übrigens erfolgreich!), hat das ernste Gespräche mit Eltern und Schulleitung zur Folge.

Keiko entschließt sich, möglichst stumm zu bleiben und kaum Kontakte zu pflegen. Fast isoliert bringt sie das von ihr erwartete Studium hinter sich, eher lustlos, man erfährt noch nicht mal, was genau sie lernt. Doch dann streift sie eines Tages durch ein steriles Büroviertel und entdeckt einen neuen Convenience Store, einen dieser typisch japanischen Konbini, die Tag und Nacht offen haben und alles für den täglichen Bedarf anbieten. Dort wird Personal gesucht, Keiko heuert eher aus Neugier denn aus Not an. Und findet, was sie immer gesucht hat: Eine abgegrenzte Welt, in der ihre Aufgaben klar zugeteilt sind, in der sie funktionieren kann wie eine Maschine, ohne die Unsicherheit, mit unwillkürlichen Handlungen anzuecken.

Sie lernt von den Kolleginnen, mit freundlich flötender Stimme die Kunden zu begrüßen, füllt gewissenhaft Regale auf und liebt die Stammkunden, die immer wieder die gleichen Sätze sagen.

Pragmatische Liaison

Dumm nur, dass ihre Familie und alle anderen erwarten, dass sie einen "richtigen" Beruf ergreift und nicht ewig Aushilfskraft bleibt. Mann und Kinder wären die einzige Ausrede gewesen, um dieser vorgezeichneten Laufbahn ohne schlechtes Gewissen zu entgehen. Keiko erfindet Lügen, sagt, sie sei körperlich nicht in der Lage, einen ordentlichen Job zu machen. Doch dann schneit Shiraha in den Konbini und bringt alles durcheinander.

Der junge Mann meckert an allem rum, sieht sich als Opfer der gesellschaftlichen Strukturen, baggert Mitarbeiterinnen und Kundinnen dreist an und arbeitet kaum. Bald wird er rausgeschmissen, doch Keiko schmiedet eine praktische Allianz mit ihm: Er soll bei ihr wohnen, damit es aussieht, als hätte sie einen Partner, damit Freundinnen und Familie endlich Ruhe geben. Ihm ist damit ebenfalls geholfen, denn ohne Job hat er noch nicht mal eine Wohnung und kann seinem Bruder die Schulden nicht zurückzahlen. Leider entpuppt er sich aber als faule Zecke, der mit Kissen die Badewanne in der Miniwohnung blockiert.

Sayaka Murata arbeitet wie ihre Titelheldin selbst stundenweise in einem Convenience Store, und man merkt, dass sie genau weiß, worüber sie schreibt. Ihr kleiner Roman ist eine wunderbare Studie über die unausgesprochenen Erwartungen einer Gesellschaft (auch bei uns), wie jemand zu ticken hat. Keiko macht nicht mit. Und findet in der Regelhaftigkeit eines unscheinbaren Angestellten-Lebens ihre Erfüllung.

Sayaka Murata: Die Ladenhüterin. Roman, aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Aufbau Verlag Berlin, 145 Seiten,

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