Handy statt Schauspiel: Schlechtes Benehmen im Theater

4.12.2016, 06:00 Uhr
Handy statt Schauspiel: Schlechtes Benehmen im Theater

© dpa

Neulich erhob sich mal wieder ein Zuschauer im Theater aus seinem Sessel und ging, sich an den sitzenden Nachbarn vorbeiquetschend, nach draußen.

Das Stück war nicht etwa aus, aber der Mann ging trotzdem. Kurz vor Ende und seelenruhig. Er sah nicht so aus, als wäre er magenverstimmt, er wirkte nicht empört oder genervt – er ging ganz einfach.

Man könnte um den heißen Brei herumreden und mögliche Entschuldigungen suchen, man kann aber ganz einfach sagen: Das war respektlos. Den Schauspielern gegenüber vor allem, den Künstlern, die sich bemühten zu unterhalten, die erwarten dürfen, dass man sie ausreden lässt. Aber seit einiger Zeit lässt sich auch in Theatern der Region etwas beobachten: Der Respekt des Zuschauers gegenüber den Theatermachern und überhaupt der Institution Theater lässt nach und zu wünschen übrig.

Popcorn-Atmosphäre

Nein, hier soll nicht die Rede von Kleidervorschriften oder eingeübtem, kniggegestütztem Benehmen bei festlichen Anlässen sein. Es geht um mehr und somit tiefer: Es gebricht auffällig am ganz normalen Anstand. Oder ist als "gesittet" zu bezeichnen, wer kaum zum Schweigen zu bringen ist und erst knapp vor dem ersten Satz, der auf der Bühne gesprochen wird, sein Telefonat am Mobilfunkgerät beendet? Wer das kleine Gerät mit ungeheurer Leuchtkraft während der Vorstellung, also bei "gedämpfter Saalbeleuchtung" nach aktuellen Mitteilungen befragt, sodass sein grell beschienenes Gesicht aus den Reihen hervorblinkt?

Dass ein Handy in aller Stille plötzlich klingelt oder Wecksignale von sich gibt – man hat sich daran irgendwie längst gewöhnt und ist doch jedes mal aufs Neue gespannt, wo das nun wieder herkommt und mit welcher Spontan-Einlage die genervten Schauspieler darauf reagieren.

Ohnehin macht sich in den Theatern etwas breit, was man gut eine unbeschwerte Kino-Mentalität nennen könnte, eine Art Popcorn-Atmosphäre, in der völlig vergessen wird, dass vorne leibhaftige Menschen in einem dreidimensionalen Raum agieren und nicht nur ein Stück Leinwand mit bewegten Bildern hängt und die Stimmen aus Boxen kommen.

Und wie bei Konzert-Events hält man ungeniert mit dem Smartphone aus der hohlen Hand heraus bewegende Momente über den Kopf des Vordermanns hinweg fotografisch fest. Das Theater ist ein Ereignis unter vielen und wird als solches bedenken- und gedankenlos konsumiert, als ein schnelles Live-Vergnügen; die Etikette, die Spielregeln, die einst zu ihm gehörten, sind außer Kraft gesetzt, sind anachronistisch.

In voller Montur und mit Proviant

Längst wird der Theatersaal in voller Straßenkleidungsmontur betreten, in Mänteln und mit Mützen, Schals, aus denen man sich dann sitzend raumgreifend schält und wickelt; die Klamotten landen unterm Klappsitz neben dem Trekking-Rucksack, in dem sich Proviant für ausgedehnte Bergtouren vermuten lässt. Vor kurzem der Nebenmann in München: schnürte seine Stiefel auf, streifte sie von den Wollsocken und machte es sich im Schneidersitz bequem, worauf er seine Freundin im Nachbarsessel fest umarmend an sich zog. Zwei Akte verharrten sie so innigst, unterbrochen nur, wenn sie herzhafte Schlucke aus der anderthalbliter-riesigen, laut knacksenden Plastikflasche zu sich nahmen. Würde heute nur einmal ein einziges Hustenbonbonpapierchen leise rascheln, man nähme es als Kapriole aus einem anderen Jahrhundert wahr.

Dabei ist das Theater tatsächlich eine altmodische Institution, etwas schrullig, auch wenn es sich ästhetisch und thematisch modern geben mag. Es lebt(e) von vielleicht lächerlichen, banalen Ritualen (das Spucken über die Schauspielerschultern vor Premieren), vom Festhalten an ungeschriebenen Gesetzen, die abergläubische Wurzeln haben mögen, doch von dem Einverständnis aller Beteiligten, sie zu achten.


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Nirgendwo ist das auffälliger als allabendlich und überall gleich am Ende einer Vorstellung: Das Verbeugen der Schauspieler – linkisch, glücklich, eitel, gerührt – gehört dazu wie der Applaus. Man bedankt (und feiert) sich gegenseitig auf eine fast unterwürfige Art – von dort oben für die Aufmerksamkeit, von da unten für die dargebrachte Leistung. In diesem Moment, wenn sich der Vorhang (soweit es überhaupt noch einen gibt) wieder öffnet und die wirklichen Menschen hinter ihren Rollen zeigt, geschieht etwas, was kein Kino bieten kann – man beschließt gemeinsam dieses "Fest des Augenblicks" (Luc Bondy), zu dem man verabredet war und das man ein paar Stunden Lebenszeit lang zusammen beging. Nun ist es vorbei und es ist so, wie man es gespielt und gesehen hat an diesem Abend, unwiederbringbar. In dieser offenkundigen Dankbarkeit liegt ebenfalls ein wenig Trauer über das Vergangene.

Von Berührung keine Spur

Doch hier ist nichts mehr wie es einmal selbstverständlich und wohl ehrlich war. Als handelte es sich bei dieser mal kurzen, mal langen Angelegenheit um den Abspann eines Films, der einen nicht mehr interessiert, erheben sich schon, während auf der Bühne die Akteure noch ihre Kratzfüße oder gar Knickse machen, ganze Reihen aus den bequemen Stühlen, drängelt jemand aus der tiefsten Mitte über noch Sitzende hinweg nach außen. Beiläufig und lustlos, pflichtschuldig akklamierend streben sie den noch gar nicht richtig geöffneten Türen zu, um ja schnell an Garderoben oder in Tiefgaragen zu gelangen. Von Berührung, Erschütterung, von Freude keine Spur mehr. Und noch einmal kommen die Schauspieler hervor – und schauen den (vor ihnen?) Fliehenden betreten nach.

Eine Fremdheit ist da heute immer öfter zu spüren, eine Berührungsangst, ein Abschotten gegenüber den Spielenden und vor allem: Gleichgültigkeit. Der Beifall wird zum Trinkgeld, das man auf dem Tisch, an dem man ohnehin schon durch zweifelhafte Manieren aufgefallen war, liegen lässt.

"Wir und Sie bilden eine Einheit", heißt es in Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" aus den 60er Jahren und etwas später versprechen die Schauspieler: "Sie werden nicht missachtet." Am Ende jedoch ist dieses "Fest des Augenblicks", ist diese Feier geplatzt: "Sie sind nicht abendfüllend. Sie sind kein hübscher Einfall. Sie ermüden. Sie sind kein dankbares Thema. Sie sind ein dramaturgischer Fehlgriff. Sie sind nicht lebensecht. Sie sind nicht theaterwirksam".

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