Hochklassiges aus der Tiefebene: Neuer "Tatort" überzeugt

12.3.2017, 21:41 Uhr
Wenn das Auto zur Mordwaffe wird: In diesem "Tatort" schlagen die Leichen sogar dem Gerichtsmediziner auf den Magen.

© Radio Bremen Wenn das Auto zur Mordwaffe wird: In diesem "Tatort" schlagen die Leichen sogar dem Gerichtsmediziner auf den Magen.

Das "Tatort"-Jahr ist noch jung. Mit dem 30. Fall aus Bremen sind gerade einmal neun neue aber durch die Bank höchst unterschiedliche Folgen über den Sender geflimmert. So ging es in den bisher ausgestrahlten Episoden mal zu wie im Märchen ("Der scheidende Schupo"), mal drohte ein Wiener Student mit einem Amoklauf ("Schock"). Mal bekam man es mit ein paar rechtsradikalen Chordamen zu tun ("Land in dieser Zeit") und erst kürzlich mit dem ersten "Tatort" ohne Drehbuch ("Babbeldasch"). Das Experiment scheiterte. Vor allem am Dilettantismus der beteiligten Akteure. Weniger am fehlenden Skript. Selbst mit wäre der Film in die Binsen gegangen.

Ausnahmslos fähiges Personal agiert dagegen im Jubiläums-"Tatort" von Inga Lürsen (Sabine Postel) und Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen). Sieht man mal vom zeitweise arg unbeteiligt wirkenden Gesichtsausdruck der Hauptkommissarin ab, gibt sich hier ein Haufen Talentierter die Ehre. Daher dürfte "Nachtsicht" bei der Wahl zum besten Krimi der Saison am Ende dieses Jahres mit Sicherheit einen der vordersten Plätze einnehmen. Auch wenn man mit Prophezeiungen wie diesen nach gerade einmal neun ausgestrahlten Episoden natürlich etwas vorsichtig sein muss. Doch "Nachtsicht" bringt eben alles mit, was ein guter Krimi braucht. Eine gute, nicht überladene Story. Fähige Akteure und einen Regisseur, der sein Handwerk versteht.

Ein Triebtäter ist am Werk

Im Zentrum des Geschehens steht ein nicht mehr ganz so junger Mann. Kristian Friedland (Moritz Führmann) ist knappe 40 und mordet mit seinem zu einer wahren Tötungsmaschine umgebauten BMW. Mittels Elektromotor kann Friedland sich in der Dunkelheit leise an die Opfer heranschleichen und sie dann mehrfach überrollen. Er selbst sitzt dabei mit Nachtsichtgerät auf dem Kopf hinter dem Lenker. Die Atmung geht nach oben, wenn er seine Taten verübt. Er verspürt Lust und Befriedigung.

Für Vater Friedland (Rainer Bock) ist sein Sohn dagegen noch immer der kleine Junge von damals, den es zu beschützen gilt. Völlig egal, was er wieder mal ausgefressen hat. Über die Jahre hat Jost Friedland eine immer ausgeprägtere Form der Realitätsverkennung entwickelt. So ignoriert er gekonnt die Probleme, mit denen Kristian tagtäglich kämpft. Mit aller Macht versucht der grandios aufspielende Rainer Bock jegliches Übel von seinem Sohn, aber auch von seiner krebskranken Frau (Angela Roy) fernzuhalten und so die kleine Familienidylle im mittlerweile etwas abgewohnten Einfamilienhaus am Rande der Stadt aufrechtzuerhalten.

Kein eindimensionaler Actionkrimi

"Nachtsicht" liefert viel Action, die Florian Baxmeyer auch unter Zuhilfenahme von lichtempfindlichen Digitalkameras authentisch einfängt. Sie steht allerdings nicht im Vordergrund. Der renommierte Regisseur hat eher einen Film über Verdrängung innerhalb von Familien gedreht. Aus Liebe blenden Menschen grauenvolle Realitäten einfach aus. Sie ignorieren die Wahrheit. Erkennen sie nicht als solche an. Kein unbekanntes Phänomen. Dadurch wird jedoch viel mehr Schaden angerichtet, als wenn man sich wie in diesem Film eingestünde, mit einem psychisch Kranken unter einem Dach zu leben. Daher ist "Nachtsicht" definitiv eine unter die Haut gehende Tragödie und kein eindimensionaler Actionkrimi.

Weil gleich zu Beginn des Films außerdem offensichtlich ist, wer hinter den Morden steckt, spielt die Frage nach dem Täter ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Stattdessen beschäftigt sich Baxmeyer voll und ganz mit dem Kampf, den Mörder vor der Enttarnung zu schützen. Auch wenn der das Versteckspiel mit Verlauf des Films immer mehr satt hat. Kristian bittet nicht um Vergebung. Er fleht vielmehr um Hilfe. So hat er das Handy schließlich mit Absicht an einem der Tatorte hinterlassen. Am Ende ertappt man sich gar dabei, dass man für den Mörder trotz der extrem grausamen Taten, die selbst Gerichtsmediziner Katzmann auf den Magen schlagen, ein wenig Mitleid empfindet.

Der düstere Thriller, der inhaltlich Händchen mit der großartigen Murot-Folge "Es lebe der Tod" sowie der Frankfurter "Geschichte vom bösen Friedrich" hält, stammt aus der Feder von Stefanie Veith und dem kürzlich verstorbenen Matthias Tuchmann. Sie verzichten auf überfrachtete Dialoge und lahme Verhörszenen und transportieren ihre Story vor allem mittels Bildsprache. Kurze Blicke, bestimmte Bewegungen und eindeutige Gesten sagen mehr als jedes Wort. Wie recht sie doch haben.

Verwandte Themen


1 Kommentar