Ilija Trojanow spricht über Narben der Flucht

26.6.2017, 19:00 Uhr
Ilija Trojanow spricht über Narben der Flucht

© Thomas Dorn

Kurze Notizen, Sentenzen, Aphorismen, Anekdoten, Zitate: "Nach der Flucht" ist eine Sammlung von komprimierten Gefühlen, Stimmungen, politischen Statements. Und es ist wohl in vielen Punkten auch ein autobiographisch geprägtes Werk: Die Eltern von Ilija Trojanow flohen 1971 aus Bulgarien, sechs Jahre alt war er da. Über Jugoslawien und Italien ging es nach Deutschland; die Familie erhielt politisches Asyl.

Eine Station damals: Zirndorf, das Sammellager des Asyl-Bundesamts. Dort lernte Trojanow auch Deutsch. Bei seiner Lesung in Fürth, nicht weit entfernt von Zirndorf, wird er auf dieses Kapitel seiner Kindheit eingehen — und etwa erzählen, welchen Buchstaben er da vor allem gelernt hat. "Der Akzent ist die Handschrift der Zunge. . . Der Akzent sorgt für die Schönheitsmale auf der Sprachhaut", so Trojanow im neuen Buch.

Stakkato-Ton

Immer wieder schrieb der heute 51-Jährige über Flucht und Migration, diesmal tut er es im Stakkato-Ton eines Notizbuchs. Er hat das Büchlein aufgeteilt in zwei Hälften. Der erste Teil handelt (und heißt) "Von den Verstörungen", es sind 99 durchnummerierte Notizen.

Teil zwei ist der etwas zuversichtlichere, Mut machende Ausklang. Erneut liefert Trojanow 99 Wortmeldungen, oft nur einen Satz lang. Sie heißen "Von den Errettungen", und sie enden nach einem Countdown von 99 herunter bei Sentenz Nummer 1: "Erst wenn er sich von den Zuschreibungen der Herkunft und den Zumutungen der Ankunft gelöst hat, ist der Geflüchtete wirklich frei." Auf den vorherigen gut hundert Seiten ist sehr viel und sehr beklemmend von diesen "Zuschreibungen" und "Zumutungen" die Rede. Gerade in der Verknappung, in der Zuspitzung macht Trojanow anschaulich, unter welchem Dauer–Druck Flüchtlinge stehen: Rechtfertigungsdruck gegenüber dem Ankunfts-Land, repräsentiert durch seine Behörden wie seine oft distanzierten Bewohner; Erklärungsdruck gegenüber denen in der verlassenen Heimat; Erfolgsdruck, was das Hineinwachsen in die neue Umgebung angeht.

Beklemmend

Die Lektüre von Trojanows Notizen wäre daher sehr empfehlenswert für all jene, die in den Migranten dieser Tage zunächst einmal Eindringlinge und lästige Bittsteller sehen und nicht Menschen in einer Krisen-Situation, die Flucht stets bedeutet.

Mit seinen Skizzen macht Trojanow diese Dauer-Beklemmung spürbar. Oft geht es um Sprache, die "Ermächtigung" sein kann für den, der sie beherrscht — oder auch, ja sogar dann noch ausgrenzend, wenn Trojanow typische deutsche Sätze beschreibt: ",Man hört ja gar nicht, dass Sie nicht von hier sind.‘ — Auch unschuldige Fragen können zersetzen. — ,Sie haben ja gar keinen Akzent.‘ — Das klingt wie ,Sie verheimlichen uns etwas. Sie machen uns etwas vor!‘"

Der Autor, selbst längst Kosmopolit mit Stationen in Kenia, Frankreich, Indien und dem Schwerpunkt Deutschland, bilanziert gleich zu Beginn: "Es gibt ein Leben nach der Flucht. Doch die Flucht wirkt fort, ein Leben lang."

Ilija Trojanow: Nach der Flucht. S. Fischer Verlag, 126 Seiten, 15 Euro. Am Donnerstag, 29. Juni (20 Uhr), präsentiert der Autor das Buch im Rahmen des Literaturfestivals "Lesen" im Kulturforum Schlachthof, Würzburger Str.2, Fürth. Karten 10 Euro an der Abendkasse.

www.fuerth.de/Lesen

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