Immer ein Grund zu trauern: Kurt Cobain wäre jetzt 50

20.2.2017, 08:20 Uhr
Schon als Teenager träumte er vom Rockstar-Dasein mit bösem Ende: Kurt Cobain.

© Youri Lenquette/Arts Alliance/dpa Schon als Teenager träumte er vom Rockstar-Dasein mit bösem Ende: Kurt Cobain.

Es gibt früh verstorbene Rockstars, üblicherweise im 27. Lebensjahr dahingerafft, die man sich auch alt vorstellen könnte. Den heute 73-jährigen Jim Morrison ("The Doors") zum Beispiel – als adipösen Guru mit wallender Mähne, die seine enorme Altherren-Wampe verdeckt wie ein grauer Echthaar-Poncho. Der einen weißen, Zopfmuster-verzierten Rauschebart hinter sich her schleift, wenn er mit seinem Hofstaat aus jungen Blondinen zwischen diversen Wohnsitzen in Malibu, Indien und der Karibik hin und her jettet. Der wirre Pressekonferenzen hält (politische Agenda zum Weltfrieden: Schafft mehr LSD heran!) und noch wirrere Platten aufnimmt, freilich allesamt Teil eines nie enden wollenden Experimentalpop-Zyklus irgendwo zwischen Wortvortrag, Whiskey Bar und Wagner.

Hauptsächlich jedoch würde er wegen besagtem blondem Hofstaat der eigenen Proklamation von "großartigen, goldenen Begattungen" nachkommen. Dank jeder Menge Kortison und unter ärztlicher Aufsicht, versteht sich. Mit von der Partie bei diesen ambulanten Orgien, wenn auch eher als passive Hausgäste, wären wohl ebenso Janis Joplin (74) und Jimi Hendrix (73). Die seit nunmehr 40 Jahren eine gemeinsame Samstagabend-Show in Las Vegas bestreiten - mit Joplin, wie ein guter Bourbon von der kratzigen Bluesrock-Röhre zur krächzenden Bluesrock-Rollstuhlfahrerin gereift. Und Hendrix, wie ein leibhaftiger Gitarren-Messias nur von Haut, Knochen und einer Fender Stratocaster zusammengehalten.

Doch Kurt Donald Cobain, geboren am 20. Februar 1967 in Aberdeen, US-Bundesstaat Washington, als lebende Rock-Ikone im Jahre 2017? Sich das vorzustellen, ist schlichtweg unmöglich! Und dazu muss nicht erneut der Lebensweg des Musikers durchreferiert werden, weil außer Courtney Love so ziemlich jeder die Nase gestrichen voll hat von weiteren pietätfreien Innenansichten seiner kurzen Vita. Weshalb es den 50 Jahre alten Cobain niemals geben konnte, lässt sich ohnehin nicht mit nackten Daten erklären. Wie so oft – und in letzter Zeit so selten - kommt es auf Inhalte an, wenn man einen Sachverhalt verstehen will. Die einfache Antwort auf alle Cobain-Fragen lautet: Er zerbrach am eigenen Erfolg, konnte mit dem Superstar-Dasein nicht umgehen, flüchtete sich deshalb in Drogen und letztlich in den Suizid.

Dass Cobain den Ruhm nicht haben wollte, wurde aber zwischenzeitlich widerlegt – dem hemmungslosen Ausverkauf seiner Privatsphäre post mortem sei Dank. Allein durch die Veröffentlichung von Tagebüchern und Dokumentarfilmen wie "Montage of Heck" (2015) wissen wir bestens darüber Bescheid, dass sich schon der Teenager Cobain ausmalte, wie er dereinst den Rockolymp erobern wollte - um sich dann auf dem Höhepunkt das Leben zu nehmen.

Nachdem selbst Krankenakte und Sexualtrieb popkulturell unter die Lupe genommen wurden, um sein frühes Ableben zu erklären, offenbart sich allerdings ein interessantes Loch: Seine Musik. Die wird gänzlich vernachlässigt, wenn es darum geht, zu erklären, warum es nicht sein sollte, dass Kurt Cobain heute eine berauschende Geburtstagsparty in Seattle feiert.

Cobain beschrieb "nur" einen Zustand

Denn in dem, was der Sänger, Gitarrist und Songschreiber von Nirvana mit den Alben Bleach (1989), Nevermind (1991) und In Utero (1993) für die Ewigkeit festhielt, liegen mindestens genauso wichtige Gründe für die Nicht-Überlebensfähigkeit des Idols begraben. Cobain unterscheidet sich von Morrison, Joplin und Hendrix schon deshalb, weil er mit seinem künstlerischen Schaffen niemals eine geistige Wende hin zu einer besseren Welt im Sinn hatte. Keine Bewusstseinserweiterung, keine Utopie von Liebe und Frieden. Die Songs von Nirvana beschreiben „nur“ einen Zustand. Und der heißt Resignation.

Cobain hatte das Pech, zwanzig Jahre nach Woodstock in einer Welt berühmt zu werden, die ohne die Deutungshoheit einer Jugend- und Protestkultur auskommen musste. Ende der 1980er Jahre gab es kein akutes Vietnam-Trauma mehr, sondern nur noch die Unwägbarkeiten eines sterbenden Ost-West-Konflikts. Was lohnte es sich da, die Werte der Eltern, die selbst Ex-Hippies waren, infrage zu stellen? Mit anderen Worten: Wogegen noch rebellieren, wenn schon gegen alles rebelliert wurde? Langeweile machte sich breit und äußere Kriege wurden zu inneren.

Niemand fasste dieses unerträgliche Gefühl des Stillstandes und der Untätigkeit in (rock-) musikalisch bessere Worte als Cobain: Die Wut auf alle anderen war immer nur Ausdruck der Wut auf sich selber – um nicht zu sagen Selbsthass. Dabei gelang ihm gerade auf dem letzten Nirvana-Album "In Utero" der ultimative Abgesang auf die Popkultur. Songs wie "Serve the servants", "Pennyroyal tea" oder "Rape me" sind grunge-gewordene Hasstiraden gegen einen gesellschaftspolitischen Zustand, in dem Bewegungen wie die 68er in Amerika und Europa gar nicht mehr möglich waren – weil auch abwegigste Ideen der Jugend umgehend von der Industrie vereinnahmt wurden. Keine Parole, kein Banner, kein Ideal, das nicht innerhalb weniger Wochen auf ein T-Shirt gedruckt im Supermarkt erhältlich war.

Keine Antworten

Insofern verwundert es kaum, dass der dezidierte Beatles-Fan Cobain auf das Mantra "All You Need Is Love" keine weiterführenden Antworten geben konnte. Am Ende blieb ihm nur die bittere rhetorische Frage: "What else could I say?".

John Lennon, den Cobain bewunderte und nicht selten dessen ironisch-surrealistische Songtext-Fragmente genial kopierte, sang einst "Happiness is a warm gun". Am 5. April 1994 spritzt sich Kurt Cobain eine Überdosis Heroin in die Venen, nimmt den Lauf seiner Browning Auto-5-Selbstladeflinte in den Mund und drückt den Abzug.

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