Immer nah an den Menschen

15.6.2011, 00:00 Uhr
Immer nah an den Menschen

© Matejka

Herr Keerl, Herr Aue, mal ganz spontan zurückgespult: Welches Filmprojekt war für Sie das wichtigste?

Kurt Keerl: Eindeutig „Auf Wiedersehen im Himmel“, ein Film, der in Kooperation mit dem Heidelberger Dokuzentrum für Sinti und Roma entstand. Für uns war es höchst beeindruckend, nach Auschwitz zu fahren und mit Zeitzeugen zu sprechen.

Michael Aue: Jedes Projekt, an dem ich gerade arbeite, ist für mich in dem Moment das wichtigste. Aber es gibt natürlich auch Herzensthemen. Die entwickeln sich durch die Protagonisten oder die Arbeit am Projekt. Besonders eindrücklich waren für mich die Produktion „So fern und doch so nah“ über Begegnungen mit Autisten und unsere ersten Filme über das damalige Tabuthema Aids sowie über ein HIV-positives Mädchen, das übrigens heute selbst Mutter ist.

Die genannten Filme sind beispielhaft für das Themenspektrum und die Arbeit der Medienwerkstatt...

Aue: Ja, unsere Schwerpunkte liegen auf sozialen, kulturellen und zeitgeschichtlichen Themen.

Unser Ziel ist es immer, möglichst nah an die Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation heranzukommen und Nähe zu erzeugen, auch für den Zuschauer. Das ist stets eine Gratwanderung: Denn es geht darum, tief einzudringen in ganz private Bereiche und trotzdem die Personen nicht vorzuführen. Wir sind nicht auf Sensationen aus und betreiben keinen Enthüllungsjournalismus. Dennoch sollen die Filme berühren oder sogar aufregend sein.

Keerl: Was uns in diesem Zusammenhang von anderen Teams unterscheidet, ist, dass wir lange am Drehort bleiben und intensiv Bilder und Eindrücke sammeln können. Wir gönnen uns den Luxus, uns voll auf die Geschichte einzulassen.

Seit Anfang der 90er Jahre, seit die Medienwerkstatt für einen festen Sendeplatz im Lokalfernsehen arbeitet, sind lokale Themen vorgegeben...

Aue: Im Prinzip hat sich unser Spektrum dadurch aber nicht entscheidend geändert. Denn die Aspekte, die wir behandeln, zum Beispiel Aids oder Autismus, sind, selbst wenn sie erst mal Lokalbezug haben, überall relevant. Da achten wir schon auf die Übertragbarkeit.

Die ersten Dokumentationen wurden über die Nürnberger Massenverhaftung 1981 oder den Widerstand gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf gedreht. Wie hat sich die Machart der Filme seither verändert?

Keerl: Damals haben wir ja Videos für die Bewegung und aus der Bewegung heraus gemacht. Mit dem festen TV-Sendeplatz erreichten wir dann auf einmal ganz neue, große Zuschauergruppen. So wurde die Verkäuferin des nächsten Edeka-Markts zum Gradmesser für unsere Sendungen. Darauf sind wir eingegangen und haben neue, auch kürzere Fernseh-Formate entwickelt. Dennoch haben die Beiträge immer noch einen ähnlichen Charakter.

Aue: Und sie sind vom gleichen Engagement befeuert. Wenn wir heute nach Themen gucken, fragen wir immer noch: Wofür wollen wir uns einsetzen? Und nach wie vor stehen bei uns die Menschen, um die es geht, im Mittelpunkt.

Wäre es verlockend, mal eine längere Doku etwa fürs Kino zu drehen?

Keerl: Dafür müsste man wohl Fördermittel beantragen. Das bedeutet weniger Flexibilität und Abhängigkeit. Für mich wäre das nichts.

Aue: Und man müsste wieder lernen, mit längeren Formaten zu arbeiten. Jetzt heißt es oft, viel Filmmaterial auf Fernseh-Länge zu kürzen. Das ist zwar schmerzhaft, dafür ist das Ergebnis meist hochkonzentriert und auf den Punkt gebracht.

Welches Thema brennt Ihnen noch auf den Nägeln?

Aue: Themen, die sich ums Alter drehen, nehmen bei uns ja sowieso zu (lacht); das hängt wohl mit der eigenen Lebenserfahrung zusammen. Da muss man dann die jüngeren Kollegen animieren, als Gegenpol die Aspekte ihrer Generation aufzugreifen.

Apropos: Wie steht’s mit dem Generationswechsel? Manche finden ja die schnörkellose Machart der Medienwerkstatt-Filme etwas altmodisch.

Aue: Ich würde sagen, sie ist vielfältig. Allein durch die zahlreichen unterschiedlichen Autoren gibt es ganz verschiedene ästhetische Ansätze.

Keerl: Fest steht, dass wir nicht an Vergreisung zugrunde gehen werden (lacht). Wir haben im Team einen guten Altersmix, die jüngste Kollegin ist 25. Ich denke, damit sind unsere Kreativität, Produktivität und auch kritische Distanz weiterhin gewährleistet.

Die Medienwerkstatt sendet jeden Sonntag um 19, 21 und 23 Uhr auf Franken Fernsehen, um 21 Uhr auf Franken Sat. Am 19. Juni wird anlässlich des Jubiläums der Film „Der andere Blick — Die wundersame Geschichte der Medienwerkstatt“ gezeigt.

www.medienwerkstatt-franken.de
 

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