Indonesien wird mit der Vergangenheit konfrontiert

18.6.2015, 17:00 Uhr
Indonesien wird mit der Vergangenheit konfrontiert

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Beim berühmten indonesischen Puppenspiel kämpft stets Gut gegen Böse. Die Vorlagen für das Marionettentheater (Wayang), wie es in Jakartas Altstadt gezeigt wird, entstammen meist den altindischen Epen. Über Jahrhunderte hinweg haben diese Geschichten die Bewohner des erst 1945 gegründeten Vielvölkerstaates Indonesien geprägt.

Auch in der politischen Wirklichkeit des Landes geht es derzeit um die Frage nach Gut und Böse – und nach Opfern und Tätern. 50 Jahre nach dem Militärputsch von General Suharto, bei dem in der Folge nach Schätzungen bis zu einer Million Menschen ums Leben kamen, rühren Schriftsteller am weiterhin stark tabuisierten Thema.

Vom 13. bis 18. Oktober steht Indonesien als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse im internationalen Rampenlicht. Es sind erstaunlicherweise mehrere Bücher von Frauen, die auf der Kulturbühne dem eigenen Land den Spiegel vorhalten.

„Die Massaker von 1965 gehören zu den größten politischen Genoziden im 20. Jahrhundert“, sagt die Schriftstellerin Laksmi Pamuntjak in Jakarta. Neben Kommunisten und Intellektuellen habe der Massenmord auch gezielt den ethnischen Chinesen gegolten. „Das wissen die meisten nicht, nicht nur im Ausland.“ Indonesien, das mit 250 Millionen Menschen weltweit an vierter Stelle der bevölkerungsreichsten Länder steht, ist 1998 nach 30 Jahren Diktatur zur Demokratie zurückgekehrt. Doch bis heute wird in Schulbüchern daran festgehalten, dass das Militär mit seinem blutigen Putsch nur einem Staatsstreich der Kommunisten zuvorkam, die in Indonesien einst mehrere Millionen Mitglieder hatten.

In ihrem im September bei Ullstein erscheinenden Roman „Alle Farben Rot“ widmet sich die 43 Jahre alte Pamuntjak den Folgen von 1965 in einem großen Epos. Eine Frau sucht Jahrzehnte später nach ihrem Geliebten, der 1965 auf die berüchtigte Gefangenen-Insel Buru verschleppt wurde.

In Indonesien ist das vor drei Jahren veröffentlichte Buch ein Bestseller geworden. Das Interesse am Thema ist da, zumindest in der an Büchern interessierten oberen Mittelschicht und intellektuellen Kreisen. Doch die Regierung ist noch lange nicht so weit. Auch weil in Ministerien, Wirtschaft und Medien noch viele Leute sitzen, die damals selbst an den Säuberungen beteiligt waren. Und in den Dörfern wohnen die Opfer weiter neben den Tätern.

Das hat der US-Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer im preisgekrönten „Act of Killing“ (2012) und danach in „Look of Silence“ thematisiert; beide Filme dürfen in kommerziellen Kinos nicht gezeigt werden.

„Wir wollen das Thema vergessen, aber nicht lösen“, sagt der Filmemacher Alex Sihar, Generalsekretär eines großen Kulturzentrums in Jakarta. „Ich beneide Deutschland“, fügt er mit Blick auf die Aufarbeitung der NS-Verbrechen hinzu.

Goenawan Mohamad, Galionsfigur der indonesischen Literatenszene und Organisator des Auftritts in Frankfurt, ist weniger pessimistisch. „Das Tabu ist längst nicht mehr so stark, wie es war“, sagt der 73-Jährige, der selbst unter Suharto zeitweise inhaftiert war. Die Autoren dürften aber das Thema nicht der Regierung überlassen.

Der im vergangenen Oktober mit viel Vorschusslorbeeren angetretene neue Präsident Joko Widodo, der nicht den alten Eliten entstammt, hat zwar eine Aufarbeitung der Vergangenheit angekündigt. Passiert ist aber bis jetzt nicht viel.

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