John Niven: "Die Durchgeknallten sind mir am liebsten"

18.11.2015, 14:20 Uhr
"Ein Autor braucht keine Botschaft", sagt John Niven und unterhält seine Leser lieber mit schwarzem Humor.

© Foto: Erik Weiss/Random House "Ein Autor braucht keine Botschaft", sagt John Niven und unterhält seine Leser lieber mit schwarzem Humor.

Mr. Niven, in „Old School“ werden zwei alte Freundinnen in ihren Sechzigern aus purer Verzweiflung zu Bankräuberinnen. Wie haben Sie Ihre Hauptfiguren Julie Wickham und Susan Frobisher entwickelt?

John Niven: Nun, zuerst einmal wurde mir bewusst, dass in meiner Jugend 60-Jährige auf mich wie sehr alte Leute wirkten. Heute ist das ganz anders. Mick Jones von The Clash ist kürzlich 60 geworden. Als Punkrock aufkam, war er 20. Ältere haben eine ganz andere Einstellung zum Leben. So sind auch die Protagonisten meines Romans gestrickt. Das wird sehr deutlich an der Sprache, dem Humor und dem Ton des Buchs. Das als Ausgangspunkt für einen Roman zu nehmen, fand ich spannend.

Was wollen Sie mit Ihrem Buch über ältere Frauen sagen?

Niven: Nichts. Die Geschichte erzählt sich selbst. Ein Autor braucht keine Botschaft. Ich will den Leser unterhalten. Sollte mein Buch dennoch eine Botschaft haben, ist das reiner Zufall. Frauen ab einem gewissen Alter sind fast unsichtbar in unserer vom Jugendwahn besessenen Gesellschaft. Mir hat es Spaß gemacht, Figuren zu erfinden, die sich damit nicht abfinden wollen und Krawall machen.

Eine der Frauen in „Old School“ ist 87, sitzt im Rollstuhl, säuft und flucht wie ein Kesselflicker. Was reizt Sie an solch überdrehten Charakteren?

Niven: Ethel ist wirklich extrem! Die Durchgeknallten sind mir immer die liebsten. Sie ist eine völlig angstfreie und ungenierte alte Dame, die meint, sich für nichts entschuldigen zu müssen. Sie ist fast 90 und würde niemals denken, dass ihr Leben bald vorbei ist. In der Urfassung ließ ich sie am Ende sterben, aber ich konnte das nicht ertragen. Ich mochte sie einfach zu sehr.

Ist es möglich, in unserer Gesellschaft in Würde alt zu werden?

Niven: Oh Gott, das hoffe ich wirklich! Der 81-jährige Leonard Cohen ist dafür ein Paradebeispiel. Er nimmt immer noch Platten auf und geht auf Tournee. In „Tower Of Song“ singt er, er spüre das Alter vor allem an den Orten, an denen er einst spielte. Das tue ihm sehr weh. Ich selbst bin inzwischen 47, aber weit davon entfernt, weise zu sein. Das Gute am Älterwerden ist, dass es dir gleichgültiger wird, was andere über dich denken.

Was hat Ihren Humor geprägt?

Niven: Mein Vater hatte einen sehr grimmigen Humor. Als ich noch sehr klein war, nahm er mich immer mit in Katastrophenfilme wie „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ oder „Frankenstein Junior“ mit Marty Feldman. Dads donnerndes Lachen wirkte auf alle ansteckend. Als Teenager liebte ich Monty Python und die Serie „Blackadder“ mit Rowan Atkinson, aber auch die Bücher von Tom Sharpe. Es fällt mir leicht, humorvoll zu schreiben, je schwärzer, desto besser. Trotzdem bleiben meine Figuren hoffentlich sympathisch. Mir fällt es schwer, etwas wirklich ernst zu nehmen, abgesehen von meiner Arbeit.

Haben viele Männer sexuelle Fantasien wie Barry, der ein Doppelleben als Swinger führte und eines Tages mit einem Dildo im Hintern tot in einem Sex-Kerker aufgefunden wird?

Niven: Barry ist schon ein extremes Beispiel. Man muss aber nur aufmerksam die Zeitung lesen, um auf wahre Geschichten zu stoßen, die man eher im Bereich der Fiktion ansiedeln würde. Zum Beispiel die des Briten, der 2002 angeblich mit seinem Kanu auf eine Tour ging und spurlos verschwand. Nach fünfeinhalb Jahren tauchte er plötzlich wieder auf und wurde wegen Betrugsverdachts festgenommen. Seine Frau hatte gestanden, seine Lebensversicherung eingelöst zu haben. Die Kinder der beiden dachten die ganze Zeit, ihr Vater sei tot. Erstaunlich, zu was für verrückten Doppelleben Menschen fähig sind!

Leben Sie mit Ihrem Buch geheime Fantasien aus?

Niven: Ich glaube, das macht ein Autor mit jedem Buch. Zum Beispiel verliebt man sich in Gedanken für eine gewisse Zeit in eine andere, rein fiktive Person. Ich finde das ungemein reizvoll. Ich habe bereits mit meinem nächsten Buch begonnen. Es handelt von einer Mittelklassefamilie, die in einem Haus wohnt wie ich, vielleicht ein bisschen hübscher. Ich bin gerade dabei, deren Leben zu leben. Schreiben ist immer auch psychologische Arbeit. Und billiger als eine Therapie.

„Kill Your Friends“ kommt Anfang 2016 in die Kinos. Nicholas Hoult spielt darin den psychopathischen Musikmanager Steven Stelfox. Haben Sie die Geschichte aktualisiert, als Sie das Drehbuch schrieben?

Niven: Nein, nein, sie spielt im Jahr 1997. „Kill Your Friends“ würde in der Gegenwart nicht funktionieren, denn die Musikindustrie ist heute richtig arm verglichen mit den Verhältnissen von damals. Die Geschichte erinnert an die letzten Tage von Rom.

Wie haben die Filmemacher die 90er Jahre wieder aufleben lassen?

Niven: Ich finde, mit dem Budget, das ihnen zur Verfügung stand, haben sie einen sehr guten Job gemacht. Es gibt Nachtclubs, Partys, Exzesse. Die Musik ist fantastisch: Oasis, Radiohead, Blur, The Chemical Brothers, The Prodigy. Nicht ein einziger hat unsere Anfrage abgelehnt. Das hat mich echt überrascht. Zumal die Künstler uns die Songs für einen relativ bescheidenen Betrag überlassen haben. Unter normalen Umständen hätte das Gesamtbudget des Films gerade einmal für die Musikrechte gereicht (lacht).

John Niven: Old School. Heyne Hardcore, 400 Seiten, 19,99 Euro.

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