Kermani findet schöne Seiten am Christentum

16.10.2015, 15:00 Uhr
Kermani findet schöne Seiten am Christentum

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1967 ist Kermani als Sohn aus dem Iran eingewanderter Eltern im südwestfälischen Siegen geboren. Er ist Muslim, Orientalist, hat als Journalist gearbeitet, seine Bücher erhielten zahlreiche Preise. Navid Kermani blickt auf eine beachtliche Karriere zurück, er galt stets als islamischer Gelehrter.

Nun bekennt er sich zu seiner Faszination am Christentum, sein Buch darüber ist über weite Strecken sachlich, aber auch ausgesprochen schwärmerisch. „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“, so der Titel.

Dem Wanderer zwischen Glaubenswelten von Ost und West ist es wichtig, seine subjektive Sicht auf den christlichen Glauben bekannt zu machen. Seine Religion, den Islam, hält er derzeit für verheerend, so dass er nie auf die Idee käme, ein Bild ihrer Schönheit zu beschreiben. Dem Christentum jedoch, das allein mit den Kreuzzügen verheerendes Elend über die Welt gebracht hat, gesteht er kulturellen und religiösen Reichtum zu.

Das trifft einige seiner Repräsentanten hart. Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, zeigt sich fassungslos. In der FAZ konstatiert er zunächst dem Schriftsteller: Navid Kermani erkläre, „was am Christentum Bewunderung verdient: eine Liebe, die nicht nur dem Nächsten gilt. Sie geht über das Maß hinaus, auf das ein Mensch auch ohne Gott kommen könnte.“

Kunst als Anbetungsform

„In der Liebe zum anderen kann man unbefangener, viel schwärmerischer sein“, hat Kermani gesagt. Neben das Schreckliche und Bedrückende des Christentums stellt er das Erhebende und Berückende. Es ist die Kunst als Form der Anbetung, die ihn umtreibt, die Spiritualität, in der auch das Humane Platz hat. Er hält das für die „Kulturleistung“ des Glaubens, die „sinnliche Erfahrung der Religion“.

Gemeint ist nicht Abstraktes wie die Theologie, sondern Musik von Johann Sebastian Bach, Malerei von Michelangelo Merisi da Caravaggio (um 1600) oder Gerhard Richters Fenster für den Dom in Köln, seit Jahren Kermanis Wohnort. Diese Tradition, ihre erhabene Ästhetik werde überleben, schreibt er. Es ist, wie Wolfgang Huber bedauert, der römisch-rheinische Katholizismus, der ihn anzieht. „Kermanis kindliche Sozialisation im pietistischen Siegerland hat offenbar Blockaden hinterlassen, die bis heute nicht gelöst sind“, barmt Huber. „Die evangelische Frömmigkeit hat er als sinnenfeindlich erlebt.“

Der Protestantismus ist Kermani zu trocken, dessen Christus ist ein Leidensmann, der viel Blut am Körper hat und allenfalls einen kranzförmigen Leuchtring um den Kopf. Immerhin lobt er Martin Luthers wortgewaltige Bibelübersetzung als „poetische Kraft“. Die Sinnlichkeit evangelischer Kirchenmusik bleibt ihm fremd. Der Katholizismus jedoch kennt den Triumph, er hat Heilige, die Muttergottes, Pomp und Pracht – und Erotik.

Maria als sexuelle Projektion

Kermanis sexuelle Anspielungen bei der Betrachtung christlicher Kunst sind vielfältig. Maria, die junge Mutter, sieht er als blendend schöne Frau, auf vielen mittelalterlichen Darstellungen sei sie gar jünger als Jesus, ihr Sohn, dargestellt. Für ihn eine großartige Mystik, die sich freilich evangelikalen Moralhütern mit Tunnelblick kaum erschließen dürfte.

Es ist der frische Blick des Orientalisten auf das muffige Christentum und seine vergessene sinnliche Bildwelt, das diesem auf einmal Bedeutung verleiht, so der Autor. Der Islam sei ausschließlich eine Schriftreligion, das Christentum dagegen habe eine ganz eigene Kultur hervorgebracht. Die warm sei, die den Menschen „herzt“, auch wenn sie ihm viel abverlangt. Gott wird nicht nur starr geglaubt, er wird „in Momenten der Verzückung“ erlebt.

Es ist das Mitmenschliche, das Navid Kermani berührt, die Gefühle, die es auslöst. Deshalb sein „ungläubiges Staunen“, seit er auf die christliche Kunst stieß bei einem längeren Rom-Aufenthalt, deshalb seine Liebeserklärung an das Christentum.

Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. C.H. Beck, München. 304 Seiten, 24,95 Euro.

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