Klagelied eines mittelmäßigen Machos

7.1.2019, 16:00 Uhr
Klagelied eines mittelmäßigen Machos

© Foto: Andreu Dalmau

Es gibt nicht mehr viele Hahnenkämpfe im deutschen Feuilleton. Nur noch selten reizt ein Thema die Kritiker dermaßen, dass es allen gleichzeitig in den Fingern juckt und jeder als Erster seinen Beitrag schreiben will. Der französische Poet, Prophet und Provokateur Michel Houellebecq ist so ein Fall. Jedes neue Buch von ihm wird zum Medienereignis, und die Spannung ist umso größer, je weniger vorher vom Inhalt bekannt ist.

Der Autor und sein Verlag wissen, wie man Journalisten so richtig heiß macht und die Spekulationen anheizt. Im Vorfeld gab es diesmal außer dem Titel "Serotonin" und dem Erscheinungstermin kaum Informationen. Die Rezensionsexemplare wurden erst Mitte letzter Woche verschickt, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Sperrfrist bis zum heutigen 7. Januar. Bis dahin sollte keine Kritik erscheinen. Aber gute Sitten gelten in der Buchbranche längst weniger als gute Beziehungen. Wie sonst ist es zu erklären, dass der neue Roman im Netz, im Radio und in den überregionalen Zeitungen schon seit Tagen ausführlich diskutiert wird?

Kein richtiger Aufreger

Egal, die Katze ist aus dem Sack – und entpuppt sich als ziemlich harmloser Stubentiger. Zum Aufreger wie "Plattform", wo es um Sextourimus und Terror ging, oder "Unterwerfung" (über den ersten islamischen Präsidenten in Frankreich) taugt "Serotonin" kaum. Und auch als Beitrag zur aktuellen Diskussion um die "Gelbwesten" lässt er sich nicht wirklich interpretieren.

Houellebecq, seit kurzem zum dritten Mal verheiratet, stimmt wieder einmal das Klagelied eines mittelmäßigen Mittelschichtsmannes in der Midlife-Krise an, der (stellvertretend für all seine Schicksalsgenossen) seine Felle davonschwimmen sind. Die Zukunft sah jedenfalls schon mal besser aus. Kein Wunder, dass Florent-Claude Labrouste (46) – so heißt der lebens- und liebesmüde Held des Romans – schwer depressiv wird. Er ist "ein abendländischer Mann mittleren Alters", der wie so viele an Langeweile und Selbstekel leidet. Dazu kommen noch große Potenzprobleme, seitdem er das Anti-Depressivum Captorix nehmen muss.

Labrouste macht das Leben keinen Spaß mehr. Sein Job im Landwirtschaftsministerium interessiert ihn schon lange nicht mehr, ebenso wenig seine japanische Freundin Yuzu, die – ein bisschen Porno muss sein – ein Faible für bizarre Sex-Spiele hat. Also trifft er eines Tages die Entscheidung, mit seinem bisherigen Leben abzuschließen und einfach zu verschwinden. Seine finanziellen Verhältnisse erlauben ihm diese Flucht aus dem Alltag.

Ohne Erklärung verlässt Labrouste seine Pariser Wohnung und fährt ohne rechtes Ziel in die Normandie. Dort lebt sein alter Studienfreund Aymeric, aber auch seine ehemalige Geliebte Camille, die ihn vor Jahren verlassen hat.

Es dauert ziemlich lange bis Houellebecq in seinem neuen Roman die Kurve kriegt: Die vor Selbstmitleid triefende Lebensbeichte von Labrouste bekommt erst spät eine gesellschaftlich relevante Dimension. Die Schlüsselfigur dazu ist Aymeric, der sich auf seinem Landgut als Milchbauer abmüht. Die Regulierung der Milchpreise durch die EU bringt die französischen Landwirte in eine ausweglose Lage, wie Labrouste durch seine Tätigkeit in Brüssel weiß. Er hat Verständnis für die Sorgen und den verzweifelten Protest der Bauern in der Provinz.

Die Handlung erreicht ihren tragischen Höhepunkt, als sich Aymeric vor laufender Fernsehkamera erschießt. Eigentlich scheint Selbstmord auch die einzige Lösung für Labrouste zu sein, der sich aber nicht einmal dazu aufraffen kann. Stattdessen hadert er mit seinem Schicksal, rechnet mit den Frauen ab und sucht Trost im Alkohol.

Ironie und Zynismus

Das ist so trivial, wie es klingt, aber Houellebecq wäre nicht Houellebecq, wenn er das nicht mit einer gehörigen Portion Ironie und Zynismus unterfüttern würde. Er bläst die Tragödie eines lächerlichen Mannes zum allgemein gültigen Sinnbild für den Untergang beziehungsweise den Selbstmord des Abendlandes auf. Dabei verweist der belesene Autor auf viele literarische Bezugsgrößen von Kant bis Schopenhauer, von Dostojewski bis Thomas Mann. Kleine Seitenhiebe inklusive.

Der ziemlich geisteskranke Protagonist seines Romans, der sich so zynisch abfällig über den Zustand der Welt und der menschlichen Beziehungen äußert, hadert mit den Idealen von Glaube, Liebe und Hoffnung. In seiner grenzenlosen Einsamkeit und Verzweiflung sehnt er sich am Ende nach der erlösenden Kraft der Liebe und der Religion. Nur sie versprechen einen Sinn im Leben. Vielleicht ist Houellebecq im Grunde genommen ja doch kein Zyniker, sondern ein Romantiker. Vielleicht ist er aber auch nur frisch verliebt.

Michel Houellebecq: Serotonin. Roman aus dem Französischen von Stephan Kleiner. Dumont Verlag, Köln. 336 Seiten, 24 Euro.

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