Klezmer zwischen Kitsch und Kunstanspruch

20.3.2018, 11:00 Uhr
Klezmer zwischen Kitsch und Kunstanspruch

© Foto. Hans-Joachim Winckler

 

Das Abschlusskonzert brach erstmals mit einer alten Tradition: Die wilde Party, die normalerweise das zehntägige Festival beschließt, stieg bereits am Samstag im Kulturforum mit den Bands "Klezmafour" und "Ramzailech". Am Sonntag wurde es im etwa halb gefüllten Stadttheater hingegen ernst. Im Mittelpunkt des Abends stand Moritz Gagerns "Nigunim für Orchester", letztes Jahr vom Orchester Jakobsplatz München unter Daniel Grossmann uraufgeführt. Die Komposition nimmt sich zwar den Ablauf einer jüdischen Hochzeit als konzeptionellen Leitfaden, betrachtet das Geschehen jedoch aus einer abstrakten, intellektuellen Warte.

Den Abend lohnenswert machte allein schon der Auftakt: Der in Fürth lebende polnische Geigenvirtuose Pawel Zalejski hat mit seiner Eigenkomposition "Nigun für Bromberg für Violine solo" eine bewegende Hommage an die von den Nazis ausgelöschte jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt Bromberg geschaffen. Mit klugem dynamischen Aufbau, einer unlimitierten, variantenreichen Spieltechnik, klaren, fein ornamentierten Melodielinien, atmosphärischen Obertönen und dunkel dräuenden Akkorden sowie reichlich emotionalem Feuer entfaltet der Primgeiger des Apollon Musagète Quartetts allein eine fast orchestrale Wucht, die tief berührt und weite Assoziationsräume öffnet.

Bevor das Orchester Jakobsplatz München im Anschluss seine Plätze einnimmt, fällt optisch schon ein Gegenstand ins Auge: Ein altes Grammophon thront auf einem Tischchen in der Bühnenmitte – ein deutlicher Bezug zu den raren Schellack-Aufnahmen, die uns die alten osteuropäischen Klezmorim hinterlassen haben und die eine wichtige Inspiration waren für das von Daniel Grossman in Auftrag gegebene Werk "Nigunim für Orchester". Klezmer goes Klassik? Mitnichten. "Ich habe ein Problem mit der verkitschten amerikanischen Variante der osteuropäischen jüdischen Volksmusik. Denn das ist der Klezmer." So deutlich äußert sich der Dirigent in seiner Einführung zwar nicht, wohl aber im Video-Trailer zu dem Stück.

Eine fragwürdige Aussage, die gerade bei langjährigen Klezmer–Festival-Besuchern heftigen Widerspruch provozieren dürfte. Doch eines ist sicher: Kitsch, also die oberflächliche, verlogene Idealisierung einer vermeintlich heilen Welt, sind Moritz Gagerns "Nigunim" mit Sicherheit nicht.

Stattdessen serviert das 19-köpfige Orchester einen schwer verdaulichen Brocken, der ganz den Gesetzmäßigkeiten sogenannter Neuer Musik folgt: Der erste Akt beschreibt den Tag vor der Hochzeit – die Ankunft des Bräutigams, den Junggesellenabschied, das rituelle Bad der Braut – in zähen Impressionen, in denen sich von traditionellen Themen inspirierte Melodiepassagen mit atonalen Einwürfen überlagern, wo Rhythmen angedeutet werden, nur um sich gleich wieder in geisterhaft verwehten Klangcollagen zu verlieren.

Als dann im zweiten Akt die Gläser klirren und die Party endlich in Fahrt zu kommen scheint, streut doch glatt jemand rohe Erbsen auf’s Parkett, und die ganze Gesellschaft stolpert wild durcheinander. Natürlich war es nicht die Absicht des Komponisten, eine authentische Nachempfindung ursprünglicher jüdischer Volksmusik zu schaffen (das machen andere), doch was bezweckt er dann mit seinem Werk? Schafft man etwas Neues, indem man alte Spielweisen akribisch seziert und dann die Schnipsel auf möglichst sperrige Weise neu zusammenfügt?

Selbstverständlich kann ein Rezensent nie für das gesamte Publikum sprechen, und die vereinzelten Bravo-Rufe zum Schluss sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Doch dem Verfasser dieser Zeilen hat sich diese kunstsinnige Sicht auf alte Gebrauchsmusik nicht erschlossen. Und wenn der rhythmische Drive, die wilde Emotionalität, die weltoffene Experimentierfreude und die dynamische Spannung des modernen (längst nicht mehr nur) amerikanischen Klezmer Kitsch sein soll, dann doch bitte lieber Kitsch!

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