Kurze Momente des Innehaltens

28.6.2017, 11:42 Uhr
Kurze Momente des Innehaltens

© Peter Hassiepen

Alissa Walser ist zuhause in der kleinen Prosa-Form. 2010 erschien zwar ihr Debütroman „Am Anfang war die Nacht Musik“ über den Magnetiseur Franz Anton Mesmer. Der Roman ist ein außergewöhnliches historisches Porträt, doch die Schriftstellerin und Übersetzerin, die Malerei studiert hat, hatte auch darin die kleinen Momente, die präzisen Beobachtungen zur Kunst erhoben, wie schon zuvor in mehreren Bänden mit Erzählungen.

In dem neuen, schmalen Buch sind die Texte selten länger als zwei Seiten, oft nur eine halbe Seite kurz. Und doch sind sie dann am einprägsamsten und überraschendsten, wenn sie gerinnen auf wenige Sätze. Walser, Tochter des „Großschriftstellers“ Martin Walser, hat eine wunderbare Art, Sekundenbruchteile, kurze Begegnungen oder einen Blick einzufrieren und seine ganze Tragweite für eine Entscheidung oder Stimmung der jeweiligen Figur herauszuschälen.

Unscheinbare Momente

Es sind eben gerade die unscheinbaren Dinge, die da zum Tragen kommen: Eine Tochter macht in der Küche der Mutter eine Salatsoße. Einwürfe, ob denn genug Essig dran sei, ob sie das Verhältnis zum Öl richtig abgeschätzt, die Mengen mit dem Löffel gemessen habe, kommen von der Seite. Eine banale Szene, die in Walsers geschliffener Sprache aber den ganzen Abgrund einer Mutter-Tochter-Beziehung schildert und die große Enttäuschung des Kindes.

Es mag der Verlag gewesen sein, der die „Verführung“ in den Titel genommen hat: Erfrischend enttäuscht sind dann die Erwartungen, wenn man die nur ein paar Zeilen kurze Titelgeschichte liest: Es geht um den einen Blusenknopf zu viel, den einige Zahnarzt-Patientinnen öffnen, bevor sie im Behandlungsstuhl liegen – und die Beobachtung der erzählenden Figur, dass ihr bewusst zurückhaltend gewähltes Outfit dem einer Hummel, die sie am Boden kriechen sieht, entspricht: „Für jede Gelegenheit richtig angezogen.“

Die Situationen sind grundsätzlich alltäglich, banal. Die Suche nach einem Taxi, die Fahrt mit dem Zug aus ländlichen Vororten in die Stadt — Alissa Walser zeichnet in diese unspektakulären Rahmen Momente und Emotionen mit feinem Pinsel, oft mit melancholischer Note. Das Nicht-Verstehen, die Hürden der Kommunikation, vor allem die zwischen Mann und Frau, sind ein Kernthema. Man muss sich einlassen auf diese Erzählungen, die einen für einen kurzen Moment hineinziehen in ein fremdes Leben.

Alissa Walser Foto: Peter Hassiepen

Alissa Walser: Eindeutiger Versuch einer Verführung. Erzählungen, Hanser Verlag. 160 Seiten, 17 Euro.
www.fuerth.de/lesen

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