Lyriker Gerhard Falkner stellt ersten Roman vor

18.8.2016, 18:46 Uhr
 Lyriker Gerhard Falkner stellt ersten Roman vor

© Foto: Englert

In einem Gedicht von Gerhard Falkner heißt es einmal: „Die Stadt ist ein Buch/ wir schlagen die erste Straße auf/ wir lesen die erste Straße/ wir lesen sie mit den Füßen. . .“ Jetzt haben wir den Roman zu diesem lyrischen Credo vorliegen: Prosa, in der die Stadt, namentlich und am häufigsten Berlin, den Ton angibt, in der die Straßen und Steine, die Menschen und deren Abwesenheiten lesbar werden und darüber hinaus erlebbar als ein Abenteuer des Verirrens und Ausschweifens, des euphorischen Aufbruchs und des Absturzes.

Falkner schreibt: „Berlin lag wie ein geöffnetes Schalentier zutage auf dieser flachen, vom Wunder betörten, mit staunenden Seen ungläubig in den Himmel starrenden Brandenburger Sandkastenanlage. Das molluskelhafte Weichbild schimmerte feucht durch die grauen, zerbrochenen Mauern. Darüber in gleicher Farbe, dieser undurchdringliche und scheinbar für die Ewigkeit verlegte Teppichboden des Berliner Himmels.“

Man muss sich an diese Sprache in Falkners Opus magnum erst gewöhnen, die durchsetzt ist von funkelnden Bildern und herbeifantasierten Assoziationen, in der es lyrisch bebt und philosophisch überkocht. Mit ihr werden wir in die versifften Hinterzimmer menschlicher Existenzen am Rande der Nervenzusammenbrüche, in die zerwühlten Betten nächtlicher Dauererregung und die fast zärtlich melancholischen Sehnsüchte scheiternder Gestalten geführt, denen die Zeitläufte über ihre zugedröhnten Köpfe wuchern.

In Falkners Deutschland der 80er und 90er Jahre mit all diesen kaum zu fassenden politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen und Revidierungen der für die Ewigkeit festgefügten Systeme und Ideologien kippen die Gewissheiten. Und mit ihnen straucheln die Helden des Alltags, knallen mit der wunden Birne an Grenzen (obwohl die doch gerade gefallen sind!): „In der Stadt stößt man überall an.“

„Apollokalypse“ bietet eine Fülle von topografisch exakt benannten Schauplätzen und ihren Gefahrenquellen, krallt sich fest in den verborgensten Winkeln, durchwühlt die Eingeweide einer Metropole, die einem „Gebärdenfeld“ gleicht, einer „Geste“, schattenreich und „geronnen wie altes Blut“. Die Kapitel, in denen Falkner wie ein besessener Flaneur durch Berlin (aber auch San Francisco etwa) streift, sind von einer ungeheuren sprachlichen Wucht – und lassen vergessen, dass es sich hier ja eigentlich um einen Roman handelt.

Aus diesen „Feuilletons“ – wie man zu Benjamins und Kracauers Zeiten ehrfürchtig gesagt hätte – lässt sich aber noch keine fortlaufende Handlung basteln. Es bleiben kostbare, aneinandergereihte Kapriolen, die den Mythos Stadt umkreisen und schließlich bersten lassen.

Falkners Geschichte, die er sich derart kompliziert komponiert hat, dass man ihr nur schwer folgen kann, ist die einer Identitätskrise. Sein Held Georg Autenrieth gerät im langsam und brutal auslaufenden 20. Jahrhundert in den Dunstkreis terroristischer Kreise und wird selber zum Täter – oder auch nicht? Denn Autenrieth ist eine gespaltene Persönlichkeit, von der die eine nie weiß, was die andere tut. Dieses Spiel mit den wechselnden Identitäten hat Falkner aufgenommen und muss es konsequent zu einem Ende bringen, auch wenn er zwischendrin Gefahr läuft, die Fäden zu verlieren: „Irgendwo (. . .) muss die Situation und der Zeitpunkt liegen, wo Autenrieth und Autenrieth anfingen, getrennte Wege zu gehen, und wo mein Ich seine Sicherheit verliert, nur einem Gehirn und einem Glied zu dienen respektive gedient zu haben.“

Gehirn (meist stoffvernebelt) und Glied (meist erigiert) sind übrigens die heimlichen Hauptakteure: entweder wird schwer gedacht und mit aussterbendem Bildungsbürgerhunger an den Klugheiten von Kunst und Kultur festgehalten oder gevögelt auf Sprungfeder-komm-raus. Falkner zelebriert mit pornografischer Lust die Exzesse von Frauen und Männern, die die Sucht nach Höhepunkten wie eine unheilbare Krankheit befallen hat.

Tatsächlich geschieht sonst nicht wirklich viel, wird zeitlich unbesorgt zwischen dem Vor und dem Danach des Mauerfalls gesprungen, werden Geheimdienst-Geheimnisse geraunt, trübgrauer DDR-Mief ebenso beschworen wie die untergründige West-Berliner Party-Szene. Und die konkreten Bezüge zu den realen mörderischen RAF-Auswüchsen sind nicht mehr als ein gruselig-wackliges Erzählgerüst.

Autobiografische Fährten

Am Ende ist es dann der Leibhaftige persönlich, der hier alles verbockt hat. Was – auch im Tonfall – ein bisschen arg an Bulgakows „Meister und Margerita“ gemahnt. Nicht minder diabolisch-verschmitzt sind übrigens auch die autobiografischen Fährten, die Gerhard Falkner (Jahrgang 1951) legt und selbstironisch verwischt: da finden sich etwa die Irrerstraße, des Autors langjährige Nürnberger Privatadresse, oder Namen aus seinem einstigen hiesigen Umkreis (Büttner, Pruy), Ausflüge ins fränkische Umland (wo Falkner heute mitunter lebt) und natürlich immer wieder die neuralgischen Berliner Fixpunkte.

Gleichwohl macht es irgendwie teuflischen Spaß diesen Roman zu lesen. Warum das so ist, darum sollte man sich nicht weiter scheren. Auf Seite 361 schreibt Falkner, der des Wortes bisweilen herrlich (Über-)Mächtige: „Vielleicht ist allerdings alles, was ich hier schreibe (. . .), überhaupt nicht wahr und vollkommener Unsinn.“

Gerhard Falkner: Apollokalypse. Roman. Berlin Verlag, 432 Seiten, 22 Euro.

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