Marketingtour zwischen Sternen: Leif Randts "Planet Magnon"

2.4.2015, 19:06 Uhr
Marketingtour zwischen Sternen: Leif Randts

© Zuzanna Kaluzna / PR

Actual Sanity heißt die künstliche Superintelligenz, die in „Planet Magnon“ ein ganzes Sonnensystem steuert. Actual Sanity trifft keine eigenmächtigen Entscheidungen, sondern benutzt für ihre Berechnungen die Befindlichkeiten der Bewohner. „Heute passt die Actual Sanity ihre Gesetzestexte auf Grundlage statistischer Auswertungen immer präziser und unmittelbarer an die sich stets erneuernden Verhältnisse an.“

Der Algorithmus, vielerorts gefürchtet, agiert in Leif Randts drittem Roman. Die Bewohner können in Space Shuttles problemlos zwischen den fünf Planeten des Sonnensystems hin und her reisen. Es gibt weder Rohstoffknappheit noch Verteilungsschwierigkeiten. Das Privateigentum ist praktisch überwunden.

Es gibt zu Beginn aber auch keinen Individualismus. Die meisten Bewohner haben sich Kollektiven angeschlossen, die mit ihren Programmatiken versuchen, den Zeitgeist zu beeinflussen. Vordergründig ist das eine harmonische, friedliche Atmosphäre, effizient gelenkt von der Actual Sanity, der „magischsten Errungenschaft unserer Zivilisation.“

Erzählt wird die Geschichte von Marten Eliot, einem jungen Spitzenfellow des Dolfin-Kollektivs. Schon als Jugendlichem wird ihm von einem Dozenten anvertraut: „Du bringst den Neubeginn.“ Aber weshalb ist ein Neubeginn nötig, wenn doch alles in geregelten Bahnen abläuft? Marten Eliot erhält zusammen mit Emma Glendale die Mission, eine Marketingtour zu starten, um im Sonnensystem für das Dolfin-Kollektiv zu werben. So beginnt ein zurückhaltendes Planetenhopping, das aber alles andere als unaufgeregt ist. Denn die Zeichen verdichten sich, dass die paradiesischen Zustände zumindest halbe Heuchelei sind. . . Bald macht das Kollektiv der gebrochenen Herzen mit Anschlägen auf sich aufmerksam, die irgendwo zwischen subversiv und terroristisch anzusiedeln sind.

Hier drängt sich der große Gegenwartsbezug auf, der den Roman des 1983 in Frankfurt am Main geborenen Autors so zwingend macht: Eine saturierte Wohlstandsgesellschaft belügt sich selbst. Und langsam beginnen in einem schmerzhaften Prozess all die Illusionen zu zerfallen, die nicht mehr zeitgemäß sind. So illustriert Leif Randt beeindruckend das hiesige Wohlbefinden, bei gleichzeitiger Andeutung, dieses System sei so brüchig, dass es jederzeit kollabieren könnte.

Wenn Marten Eliot gesagt wird: „Du hältst noch an Dingen fest, denen du insgeheim längst misstraust“, werden zweifellos wir alle angesprochen. Was aber ist der Neubeginn? Marten Eliot beginnt an seiner erhabenen Dolfin-Haltung zu zweifeln. Langsam gerät er in das Gravitationsfeld des Kollektivs der gebrochenen Herzen.

„Planet Magnon“ kreist in seinem tiefsten Inneren um die Frage, was die zeitgenössische Vorstellung von Liebe für den Einzelnen bedeutet. Welche Verletzungen und welche Vereinsamung dadurch entstehen. Dabei bildet Leif Randt nur ab, belässt es bei einem knappen, oberflächlichen Stil. So wird aber die unterschwellige Unsicherheit nur noch deutlicher spürbar. „Planet Magnon“ ist ein mutiger Roman, der man unbedingt lesen sollte. Ein Roman, der die Frage stellt: Was aber ist der Neubeginn?

Leif Randt: Planet Magnon. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 204 Seiten, 19,99 Euro

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