Maskerade im Kunstbetrieb

19.6.2015, 17:07 Uhr
Maskerade im Kunstbetrieb

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Der Trick ist nicht neu, aber die US-amerikanische Autorin Siri Hustvedt hat ihn gekonnt umgesetzt: Man nehme eine Biografie und beschreibe sie anhand von Notizen aus Tagebüchern, Briefen, Kommentaren von Freunden, Weggefährten und nicht zuletzt der Psychotherapeutin. Harriet „Harry“ Burden, Künstlerin, Mutter, Witwe eines renommierten Kunsthändlers und auf ganzer Linie erfolglos mit ihren Werken, hat allerdings mehr als ein interessantes Leben zu bieten. Zu Lebzeiten hat sie beschlossen, sich gegen die Missachtung des Kunstbetriebs zur Wehr zu setzten und durch eine vielfache (männliche) Maskerade zu beweisen, dass es Frauen in dieser eitlen Welt von Kreativen und denen, die von ihnen leben, gar nicht schaffen können.

Wie bei einem wissenschaftlichen Krimi fädelt Hustvedt Aussagen, Kommentare und Protokolle zu Burdens Aktion, bei der sie drei junge Künstler zu verschworenen Pappkameraden machte, abwechselnd auf. Man muss sehr aufmerksam lesen und auch die vielen essayistischen Betrachtungen, Querverweise auf Philosophen wie Husserl und Wittgenstein (und auch auf eine gewisse Siri Hustvedt), Hunderte Namen und wechselnde Charaktere im Auge behalten, damit man sich in der „Gleißenden Welt“ zurechtfindet. Irgendwie schweben auch die Rauchschwaden von 9/11 über New York, verschlungene Liebesaffären gleich- und zwischengeschlechtlicher Art verkomplizieren die Beziehungen, manche erzählen in Rückblenden von der Künstlerin, an anderer Stelle kommentiert Harriet selbst unter männlichem Pseudonym ihr geniales Täuschungs-werk.

Kein leichtes Lesevergnügen, eher das Gefühl der immer mittönenden Frage „Na, Leser, kommst du noch mit im Hustvedt-Kosmos?“, der ja immer auch die Schriftstellerinnen-Biografie an der Seite von Paul Auster mitliefert. Manch eigene Erfahrung mag da eingeflossen sein. Lange wurde Hustvedt eben als Austers hübsche Sparringspartnerin angesehen und hat sich nach vielen Romanen erst mit ihren Essays zu Neurologie und Kunstgeschichte freigemacht vom Dichter-Paar-Part.

Der Titel „Die gleißende Welt“ stammt von einem Roman, den eine gewisse Margaret Cavendish, Herzogin von Newcastle, 1666 unter männlichem Namen veröffentlichte. Ein Vorbild ganz offenbar für die wenig ansehnliche, immer um einiges zu große, massige, aber dennoch übersehene Harriet. Die ertrug die Affären ihres Mannes, sein mondänes Auftreten, das sie noch mehr in den Schatten rückte.

Immer wieder tauchen Erinnerungen an die düstere Kindheit auf mit einem Vater, der sie nicht wollte, und einer Mutter, die sich nicht für sie einsetzte.

Kernpunkt der einzelnen Erzählungen ist aber immer wieder, wie leicht oder schwer sich die drei jungen Männer dazu überreden lassen, Harriets Werke als ihre eigenen auszugeben. Der Plan: Publikum und Kritiker anzufixen für ein Werk, das sie jungen, zukunftsträchtigen Männern mit virilem Äußeren oder metrosexuell schillerndem Privatleben zutrauen, nicht aber der spießigen Harriet.

Mechanismen des Kunstmarkts

„Kunst lebt nur durch ihre Wahrnehmung“, so die These von Harriet. Da ist was dran. An missachteten Künstlerinnen in der Geschichte herrscht kein Mangel. Doch Hustvedts engagiertes Buch als reinen Feministinnen-Roman einzuordnen, greift zu kurz. Sie will akribisch die Mechanismen des Kunstmarktes durchleuchten, schildert wunderbar die Vernissagen voller selbstbezogener, schlau schwadronierender „Kenner“, die ihre Ratlosigkeit angesichts mancher Werke mühsam verheimlichen. Kunst ist auch eine Frage der Prominenz, und die wird erst gemacht durch die mal schräge, mal attraktive Persönlichkeit dahinter.

Der große Tusch zum Schluss, Harriets Outing als Urheberin all der bewunderten Werke bleibt schließlich aus. Sie muss zusehen, wie ihre Arbeiten zwar goutiert werden, verkriecht sich aber lieber, als die Maskerade öffentlich zu beenden. „Die gleißende Welt“ hat für sie offenbar keinen Platz. Was den Leser dann auch irgendwie enttäuscht zurücklässt.

Siri Hustvedt: Die gleißende Welt. Roman, aus dem Englischen von Uli Aumüller, Rowohl Verlag Reinbek, 491 Seiten, 22.95 Euro.

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