Massensterben in der Schweiz: Viele Tote im Luzerner "Tatort"

6.9.2015, 21:45 Uhr
Anders als gewohnt geht der neue "Tatort" aus Luzern sofort in die Vollen.

© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler Anders als gewohnt geht der neue "Tatort" aus Luzern sofort in die Vollen.

Es könnte so schön und geruhsam sein im malerischen Luzern. Reto Flückinger (Stefan Gubser) und seine Kollegin Lisa Ritschard (Delia Mayer) könnten ein paar Überstunden abbauen und gemeinsam ein Gipfeli essen gehen. Doch leider haben sie die Rechnung ohne diesen erbarmungslosen Heckenschützen gemacht. Der ballert am hellichten Tage scheinbar wahllos irgendwelchen Menschen auf offener Straße in den Kopf, dass das Blut nur so spritzt.

Was zunächst wie reine Willkür aussieht, entpuppt sich als Methode. Der Sniper (Antoine Monot Jr.) ist kein wirrer Amokläufer, sondern ein von Justitia enttäuschter Ehemann, der es nicht gebacken bekommt, dass der mehrfache Vergewaltiger seiner Gattin, nicht zur Rechenschaft gezogen worden ist. Nun knallt der beleibte Racheengel der Reihe nach Menschen mit gehörig Dreck am Stecken nieder, die - weil die Behörden kaum hinterherkommen - bislang noch nicht ihre gerechte Strafe verpasst bekommen haben. Verdient hätt's der Vergewaltiger auf jeden Fall. Der lebt jedoch inzwischen in Übersee. Das ist blöd. Also müssen die anderen dran glauben.

Flückinger und Ritschard finden all das freilich erst im Laufe der Ermittlungen heraus. Der Kommissar entwickelt dabei gar eine gewisse Sympathie für den Selbstjustiz Übenden. Klar, wer nicht. Zunächst dämmert den beiden Kripobeamten jedoch kein Licht, als sie zu den drei Morden gerufen werden und fragenden Blickes in die offenen Gehirne der Opfer blicken. "Wir brauchen mehr Mann", stammelt Flückinger und sieht dabei seinen Polizeichef (Jans-Pierre Cornu) an, der sichtlich mit dem Brechreiz ringt. Ein Profiler muss her. Bolag, schlaues Mitglied bei Scotland Yard, mimt den Erklärbär und schubst die Task Force in die richtige Richtung.

Drei Tote nach zehn Minuten

Hohes Tempo, Wackelkamera und drei Tote nach zehn Minuten. Ja, die erste Tatortfolge der neuen Saison ist ein spannungsgeladener Actionstreifen und aufgrund der neugierigen Kameraführung, die dem Zuschauer kein Detail vorenthält, nicht zwingend die beste Sonntagabendunterhaltung für zartbesaitete Krimiromantiker. Der Tatort aus Luzern widerlegt viele seiner Kritiker, die ihm oft eine gewisse Schlafmützigkeit vorgeworfen haben. Von Langatmigkeit keine Spur. Kaum sind die Namen derer durchs schwankende Kamerabild gerauscht, die am Entstehen dieses blutrünstigen Suspense-Thrillers mitgewirkt haben, hat Simon Amstad, der Sniper, auch schon zwei albanische Autoschieber und einen wohlhabenden Treuhänder mit seiner bearbeiteten Weitschussbüchse ins Jenseits befördert.

Die tristen Außenaufnahmen - Luzern liegt permanent unter einer tiefen Herbstnebeldecke - und der dichte, bedrohlich wirkende Soundtrack von Adrian Frutiger tragen ihren Teil dazu bei, dass "Ihr werdet gerichtet" gewiss als eine der besseren schweizer "Tatort"-Folgen in die Geschichte eingehen wird. Florian Froschmayer, Exil-Eidgenosse und in Berlin wohnhaft, ist ein handwerklich gut gemachter Thriller gelungen, der es durchaus mit einigen Hollywood-Produktionen aufnehmen kann. Trotz des Umstandes, dass man bereits zu Beginn des Films weiß, wer der Täter ist, unterhält, ja fesselt der Krimi bis zur letzten Minute.

Doch wie immer ist nicht alles gold was glänzt. So schrieb Autor Urs Bühler den Schauspielern all zu oft arg triviale Dialoge ins Drehbuch. Vor allem dieser, als Ritschard und Floeckinger eines Abends, nachdem die Ermittlungen etwas ins Stocken geraten, auf die Stadt hinunter blicken. Im Hintergrund bimmelt die Kirchturmuhr und Floeckinger brabbelt ein lyrisches "es sieht so friedlich aus" die Aussicht hinunter. Ritschard setzt noch einen drauf. Sie schüttelt den Kopf und entgegnet: "Irgendwo da unten isser". Wohl wahr.

Den weitaus größeren Fauxpas hat jedoch die Castingabteilung zu verantworten. Wer um Himmels Willen kam bitteschön auf die Idee, Antoine Monot Jr. die Rolle des Heckenschützen anzuvertrauen? Dieser weitestgehend talentbefreite Mensch gibt vielleicht in albernen Werbespots eines Elektronikriesen als gut gelaunter Pausenclown eine gute Figur ab, versagt als Schauspieler in abendfüllenden Spielfilmen allerdings auf ganzer Linie. Ihn mit der Figur des enttäuschten Ehemanns zu betreuen geht vollends in die Hose. Monot Jr. sieht aus wie ein wild gewordenes Monchichi mit Schrotflinte in der Hand und einstudiertem Schlafzimmerblick. Ein Erschießbär, von dem lediglich sein beachtlicher Bartwuchs und seine Statur in Erinnerung bleiben. Ihm glaubt man kaum ein Wort.

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