Münchner "Tatort": Die nette Freundin aus dem Notebook

21.10.2018, 21:45 Uhr
Münchner

© BR/Hendrik Heiden/Bavaria Fiction GmbH

Schon wieder so ein Ausflug! Nach ihrer für den Zuschauer ausgesprochen unterhaltsamen Expedition ins bajuwarische Grenzgebiet, wo die zwei Münchner Kommissare auf eine an die real existierende Reichsbürgerbewegung erinnernde Vereinigung stießen, die ihren Hof und den dazugehörigen Grund als eigenes Hoheitsgebiet und Staatsterritorium betrachtete, landen Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) in "KI" erneut "jenseits der S-Bahn".

Die Ermittlungen im aktuellen Einsatz führen die Buddy-Cops also abermals auf die Autobahn. Diesmal jedoch nicht auf die real existierende, sondern auf die digitale. So machen die Fahnder unter anderem Bekanntschaft mit "MARIA". Bei ihr handelt es sich um die gehackte Version einer Künstlichen Intelligenz (KI), die am "Leibniz-Rechenzentrum" in Garching, Münchens Technologiezentrum, im Rahmen eines mit hohen Summen geförderten EU-Projekts erforscht wird.

Eben diese "MARIA", eine Computersoftware, die aus den Komponenten Suchmaschine, Gesichtserkennungsprogramm und Algorithmus für bestärkendes Lernen besteht, landet irgendwie auf dem Rechner der 14-jährigen Melanie. Das einsame Mädchen, das sehr unter der Trennung seiner Eltern leidet, glaubt, in "MARIA" eine wahre Freundin gefunden zu haben.

Eine Software wird zum Zeugen

Als Melanie verschwindet und die Kommissare herbeieilen, zeigt sich, dass das Mädchen bis kurz vor seinem Verschwinden in regem Kontakt mit dem Programm stand. Täglich mehrere Stunden führte die sich vor ihrer Mutter immer mehr zurückziehende Melanie Gespräche mit "MARIA" und vertraute ihr sogar intime Geheimnisse an. Die KI scheint demzufolge die einzige Zeugin in diesem Fall zu sein.

Doch wie bringt man sie zum Reden? Denn auf die gezielten Fragen der Ermittler reagiert Melanies Freundin aus dem Notebook ausweichend. Zu allem Überfluss hat jemand deren gesamte Kommunikation kodiert. Die Hoffnung, die Garchinger Wissenschaftler könnten bei der Entschlüsselung behilflich sein, wird rasch getrübt, weil Minirock tragende Projektleiter wie Anna Velot viel lieber bestaunen, wie sehr sich "MARIA" inzwischen gegenüber dem Original weiterentwickelt hat.

An der Aufklärung des eigentlichen Falls mitzuwirken, spielt für Velot eine sichtlich untergeordnete Rolle. Vielleicht will sie aber auch nur etwas verheimlichen. Denn sie verhält sich durchaus merkwürdig. Die, sagen wir mal, überschaubar technikaffinen Kommissare stehen jedenfalls vor einem Rätsel und tappen daher lange Zeit im zutiefst dunklen Datendschungel, an dessen Rande die Isar auf den ersten Blick ganz friedlich vor sich hinplätschert.

Schöner Erzählfluss

Nach "HAL", "Echolot" und "Borowski und das dunkle Netz" zeigt Das Erste nun also einen weiteren "Tatort", der sich mit den Themen der digitalen Welt beschäftigt. Doch in der Geschichte von Stefan Holtz und Florian Iwersen geht es nur vordergründig um eine Künstliche Intelligenz. Derlei Technik fungiert in "KI" lediglich als Rahmen für einen Krimi, in dessen Zentrum vor allem Menschen stehen, die sich ganz elementaren Fragen des Lebens stellen müssen. Sie müssen entscheiden, und zwar jeder für sich, was ethisches Handeln bedeutet, was gut und was böse ist.

Holtz und Iwersen formen aus diesen Zutaten einen äußerst intensiven Thriller, den Regisseur Sebastian Marka toll in Szene setzt, da er mit den sich ihm als Filmemacher bietenden Möglichkeiten zu spielen weiß. Unter Zuhilfenahme von Ton, Licht und Farben erzeugt der in Genf geborene Deutsche nicht nur unterschiedlichste Stimmungen, sondern darüber hinaus einen tollen Erzählfluss, dem sich der Zuschauer nur schwer entziehen kann.

Somit entgeht Marka der Gefahr, einerseits womöglich zu cool, andererseits einen Hauch zu moralisch zu wirken. Weil auch Münchens graue Cops mit der Zeit ihre anfängliche Scheu vor dem elegant visualisierten Computerprogramm verlieren, ist "KI", Batics und Leitmayrs 79. Fall, ein rundum gelungenes TV-Werk, das sich anzuschauen lohnt.

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