Münchner "Tatort": "Freies Land" ist mehr als nur subtiler Jux

3.6.2018, 21:45 Uhr
Die beiden Hauptkommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) stehen vor dem verschlossenen Eingangstor zum "Freiland"-Gelände

© BR/Hendrik Heiden/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH Die beiden Hauptkommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) stehen vor dem verschlossenen Eingangstor zum "Freiland"-Gelände

Den Münchner Kommissaren Ivo Batic (Ivo Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) muss man Respekt zollen. Allein deshalb, weil sie bereits seit mehr als fünfundzwanzig Jahren Dienst schieben. Doch mögen muss man sie natürlich auch. Schließlich gibt es im Fernsehen wohl kaum sympathischere Ermittler.

Sieht man von zwei Folgen in der jüngeren Vergangenheit ab, in denen die Beamten wegen einer erfolglosen Tätersuche in eine tiefe Sinnkrise gerieten und infolgedessen sogar ihre Freundschaft auf der Kippe stand, konnten die Buddy-Cops tatsächlich jeden Fall zum Abschluss bringen. Letztendlich eben auch jene, in denen Batic und Leitmayr das Fahnderpech so lange an den Schuhen klebte.

Ermittlungen zwischen Wald und Wiese

In "Freies Land", dem letzten "Tatort" vor der Sommerpause, unternimmt das ehrenvoll ergraute Aufklärungsgeschwader einen farbenprächtig inszenierten und sehr unterhaltsamen Ausflug ins bajuwarische Grenzgebiet, der einige Male an die Verfilmungen der Franz-Eberhofer-Krimis von Rita Falk erinnert.

Die Kommissare stoßen auf Eingeborene, die in maroden Häusern leben und deren Furchen im Gesicht womöglich viele Geschichten zu erzählen wüssten. Doch dazu müssten die Käuze ihre Münder aufsperren. Machen sie aber nur ungern. Selbst die zwei Dorfpolizisten – einer der beiden wird von Sigi Zimmerschied dargestellt – sind da nur unwesentlich gesprächiger. Wenn sie sich nicht gerade im einzigen Lokal am Platze ihren geliebten Schweinsbraten einverleiben, vagabundieren sie auf ihrem Moped über schmale Straßen, die von saftig grünen, bis zum Horizont reichenden Wiesen gesäumt sind.

Außerdem knüpfen die Ermittler zarte Bande mit einer Kuh. Sie finden heraus, wie schwer es auf dem Land ist, ab einer gewissen Uhrzeit aufkommenden Hunger zu stillen, und baden nackt in einem See. All diese Szenen, die mit so viel Liebe zum Detail versehen sind, stehen im totalen Kontrast zu den hektischen Bildern der Großstadt, die Regisseur Andreas Kleinert zu Beginn seines Film einstreut. Beeindruckt ob all dieser neuen Eindrücke wundert es nicht, dass Leitmayr mit einem fragenden Blick in Richtung seines nicht minder verwunderten Kollegen konstatiert: "Wir zwei jenseits der S-Bahn. Wann war’n mir des schon mal?".

Mehr als nur subtiler Jux

Trotzdem wird bei all dem subtilen Jux rasch deutlich, dass Kleinerts Blick auf die zwei Fahnder im fiktiven Örtchen Traitach kein durch und durch heiterer Heimatkrimi ist. Batics und Leitmayrs sommerliche Expedition ins Grüne besitzt tief im Innern einen schweren Kern und weist darüber hinaus einen hohen Bezug zur Realität auf.

Zunächst einmal ist der Grund, weshalb Münchens Beamte ihre gewohnten Jagdgründe verlassen, der Tod von Florian Berg. Der junge Mann, der den sogenannten "Freiländern" angehörte, wird mit aufgeschnittenen Pulsadern und einer Überdosis Beruhigungstabletten im Blut aufgefunden. Die Suche nach Antworten lotst Batic und Leitmayr ins blau-weiße Outback, wo es es sich jene "Freiländer" auf einem zwölf Hektar großen Areal gemütlich gemacht haben.

Diese an die real existierende Reichsbürgerbewegung erinnernde Vereinigung betrachtet ihren Hof und den dazugehörigen Grund als eigenes Hoheitsgebiet und Staatsterritorium. Gesetze und Autoritäten der Bundesrepublik Deutschland finden hier keinerlei Anerkennung, was die zwei eindringenden Beamten sofort zu spüren bekommen.

Kein Aufklärungsfilm über Reichsbürgerszene

Szenebildnerin Myrna Drews legt auch bei der Darstellung des Anwesens der "Freiländer" viel Wert auf Details. So umgibt das Staatsgebiet der Abtrünnigen eine hohe Mauer über die als weiterer "Schutz" Stacheldraht gespannt ist. Weil vor den Fenstern Gitterstäbe prangern und das Hauptgebäude innen wie außen höchst baufällig erscheint, wirkt das gesamte Areal eher wie ein Zuchthaus und nicht wie das Heim freier Menschen, so wie es der wortgewandte Anführer Ludwig Schneider (Andreas Döhler) seinen Jüngern beim Abendmahlritual permanent einzutrichtern versucht.

Nun besteht bei einer derartigen inhaltlichen Gemengelage immer die Gefahr, dass daraus ein oberlehrerhaft erscheinender Aufklärungsfilm entsteht. Glücklicherweise umschifft Drehbuchautor Holger Joos derlei auf dem Ozean der Dramaturgie treibende Eisberge. Vielmehr lässt er den Zuschauer hauptsächlich an den Schicksalen jener Gruppe von Menschen teilhaben, die aus der Gesellschaft gefallen sind, und reichert seinen Plot mit etwas Liebe, etwas Verrat und den höchst aufschlussreichen Erlebnissen zweier Großstädter auf weiter Flur an. Gut gemacht!

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