Musikalische Feinkost im Proleten-Ambiente

29.7.2015, 19:46 Uhr
Musikalische Feinkost im Proleten-Ambiente

© Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa

Neuer Job, neues Schild, denn Ordnung muss sein auf dem Grünen Hügel: „Reserviert für Musikdirektor C. Thielemann“ ist jetzt der Parkplatz, auf dem ein schnittiger Porsche mit Berliner Kennzeichen – und nur der – stehen darf. Christian Thielemann, das war doch Bayreuths Allmächtiger, der vor fünf Wochen die Sängerin der Isolde auf dem Standstreifen abgesetzt hat, nicht wahr? Oder hat etwa Anja Kampe um den Ausstieg gebeten? Wer konnte so ganz plötzlich nicht mehr mit wem? Nicht einmal Geheimdienstler haben dies bislang herausbekommen.

Wem allerdings am Ende der stürmisch gefeierten „Walküre“-Wiederaufnahmepremiere der bombastischste Jubelsturm entgegenflog, man ahnt es. Jene Bis-kürzlich-Isolde Anja Kampe, hörbar vom ersten Ton an ums Punktemachen bemüht, lässt ihre Sieglinde noch empathischer, wärmer, intensiver als 2014 strömen und teilt sich die Applaus-Goldmedaille mit ihrem Lebensgefährten. Der heißt Kirill Petrenko, hat noch keinen so schicken Parkplatz wie C. Thielemann, darf aber ab 2018 die Berliner Philharmoniker als Chef befehligen. Was C. Thielemann, als diese Entscheidung fiel, angeblich gar nicht lustig fand.

Man klatscht also nicht einfach in Bayreuth, nicht in diesem „Ring“. Wer hier vor Begeisterung schier ausrastet, als der untersetzte, gestisch geradezu linkisch bescheiden wirkende Dirigent vor den Vorhang tritt, der will eben auch sagen: Christian, wir wissen, wo dein Auto steht. Was wäre die Welt ohne Intrigen, Wurscht und Widerwurscht, ohne Abgründe an Bosheit, ohne Moral-Navi?

Frank Castorf sieht das ebenso. Auch Wotan parkt im „Rheingold“ in erster Reihe, an der Tanke zum runtergeranzten „Golden Motel“ an der Route 66. Ist okay, dass die beiden Mechaniker-Prolls Fasolt (Wilhelm Schwinghammer) und Fafner (Andreas Hörl) auf die Kohle fürs Walhallbasteln beharren und beim Gedankenaustausch mit dem Baseball nachhelfen – Hauptsache, dem Luxus-Cabrio wird kein Härchen gekrümmt.

Unwiderstehlich lustig

Castorf, der die Tetralogie als globalen Ring-Kampf ums Öl deutet, hat im dritten Jahr der Produktion zumindest mit dem furiosen „Rheingold“ den Laden hinter sich; ein zaghaftes Buh, ein noch zaghafteres folgt, das war’s, denn unwiderstehlich lustig ist diese Gauner-Komödie der Irrungen und Irrtümer mit einem Personal aus der untersten Achtziger-B-Movie-Schublade. Wagners Zeile „Denn was nur lebt, will lieben“ wird bei Castorf zur Maxime, an der alle zerschellen: Alle Göttlichkeit des Wotanclans ist Göttlichkeit auf Pump, es wird im Hardcore-Modus gesoffen, geraucht, gehurt – ihrem Ende treiben sie zu auf der Überholspur.

Im mehrfach neubesetzten Ensemble, zu dem die leicht unterkühlte Freia von Alison Oakes zählt, ragt der Feuergott Loge des Bayreuth-Debütanten John Daszak heraus; optisch ein Kojak-Verschnitt mit nervös befingertem Benzinfeuerzeug statt Kirsch-Lolli, stimmlich herausragend hell konturiert und klar. Im nuttigen Rheintöchter-Terzett, das an der Wäschespinne auf Kundschaft wartet, singt nun anstelle von Okka von der Damerau die zuverlässige Nürnberger „Carmen“ Anna Lapkovskaja.

Oleg Bryak, der Alberich des Vorjahres, saß im Germanwings-Flieger, der im Mai in den französischen Alpen zerschellte. Keine Zeile der Trauer im Programmheft, auch nicht im Gedenken an Maria Radner, die heuer im Castorf-„Ring“ als Erda debütiert hätte (Nadine Weissmann macht ihre Sache auch 2015 mit volltönendem Alt gut). Eine Überraschung in jeder Hinsicht ist Albert Dohmen, der in der Nachfolge Bryaks den Oberproll und Senftuben-Fetischisten Alberich gibt. Dohmen, als Wotan im vorangegangenen Dorst-„Ring“ mit zunehmend knarzig-verquetschtem Bass unterwegs, wirkt hier unerwartet frei und gestaltungsmächtig und stemmt die Ring-Verfluchung prägnant ohne schurkische Über-Dämonisierung.

Erstaunlich ist und bleibt ebenfalls, dass Regisseur Castorf die „Walküre“ nicht weiter zu interessieren scheint. Im optisch überwältigenden hölzernen Förderturm-Ensemble – wir sind in Baku, Gründerzeit – ist die Personenführung plötzlich anno Sechziger, der bärige, diesmal etwas matte Johan Botha als Siegmund, der beim finsteren Truthahnzüchter Hunding (bravourös drauflosorgelnd wie stets: Kwangchul Youn) Rast findet, darf im Wesentlichen auf etwa zwei Quadratmetern die Arme strecken und wieder fallen lassen.

Anrührende Brünnhilde

Gleichwohl beeindruckt Castorfs Idee, dem schmierig-gierigen Kapitalismus der frühen Jahre die Widerhaken des rote Fahnen schwingenden Revoluzzertums einzupflanzen (Siegmunds Schwert-Streich als Prawda-Meldung, Brünnhildes Narkotisierung unterm roten Stern). Doch die dicken linken Dinger kommen ja erst noch in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ – daher bleibt das Publikum fürs erste begeistert. Mit Recht, denn Catherine Fosters mädchenhaft-anrührende Brünnhilde ist entspannter und noch souveräner als 2014 und Wolfgang Koch ein Wotan, der bittere Verzweiflung und herrische Attitüde gleichermaßen bezwingend draufhat.

Und über allem: Petrenko. Die allzu zugespitzte Forschheit der ersten „Ring“-Jahre ist neuen lyrischen Farben gewichen, Transparenz und Power suchen, sagenhaft elegant gemischt, ihresgleichen. Vor allem der zweite „Walküren“-Akt mit dem herrlich tiefengestaffelten Blech des Vorspiels, mit dem wunderbar fein austarierten Pianissimo der Todverkündung Brünnhildes und mit nie nachlassender Präzision wird noch lang in Erinnerung bleiben.

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