Musiker mit Mission

10.7.2014, 19:58 Uhr
Musiker mit Mission

© Günter Distler

Herr Ratz, Ihre Floßtour startet in Nürnberg. Warum ausgerechnet hier?

Heinz Ratz: Es gab mehrere Optionen: Etwa, in Saarbrücken zu starten und die Mosel runter zu fahren, doch da liegen wenige große Städte. Und mein Projekt bekommt ja vermutlich eher in der Stadt Aufmerksamkeit als auf dem Land. Außerdem haben wir in Nürnberg, Fürth und Erlangen sehr engagierte politische Gruppen getroffen, die uns unterstützen.

 

Warum machen Sie ein Projekt speziell für Frauen?

Ratz: Eigentlich hatte ich das Thema Flüchtlinge letztes Jahr abgeschlossen. Nur: Meine Projekte waren immer männerlastig. Ich habe aber in den letzten Jahren 160 Flüchtlingslager besucht, und die Frauen dort waren immer in der schwierigsten Lage. Nicht nur, dass sie auf der Flucht viel mehr Gewalt und sexueller Bedrängung ausgesetzt waren. Auch in den Lagern leiden sie. Ihr kultureller Hintergrund macht es ihnen aber oft unmöglich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen oder Schutz zu suchen. Wir haben sehr dramatische Geschichten mitbekommen. Das hat mich einfach nicht in Ruhe gelassen.

Inwiefern konnten Sie die Frauen denn nun einbinden?

Ratz: Auf den Flößen werde ich von Flüchtlingsfrauen begleitet. Denn das ist die einzige Möglichkeit, mit den Flüchtlingsfrauen in den Lagern vor Ort in Kontakt zu kommen. Wir haben nachmittags ein Programm mit Clowns und Puppenspielern für die Kinder zusammengestellt und dürfen damit auch in viele der Einrich-
tungen rein. So können sich unsere mitreisenden Frauen ihren Landsfrauen nähern, ins Gespräch kommen
und gegebenenfalls Hilfe anbieten. Das ist ganz wichtig, ich selbst kann das nicht leisten. Und wenn wir Musikerinnen oder Tänzerinnen treffen, laden wir sie ein, abends mit auf der Bühne zu stehen.

 

Welche Symbolkraft hat das Floß?

Ratz: Die meisten Flüchtlinge kommen auf sehr unsicheren Transportmitteln zu uns, unter anderem auf Booten. Das steht im Kontrast zu dem, was uns auf der Reise vermutlich begegnen wird, also Yachten und Luxus-Dampfer, die im Gegensatz dazu für Sicherheit in jeglicher Hinsicht stehen.

 

Was hat sich Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren in der deutschen Flüchtlingspolitik verändert? Das Thema ist ja hochaktuell, in diesen Tagen machten etwa in Nürnberg Asylbewerber mit einem Hunger- und Durststreik auf ihre Lage aufmerksam.

Ratz: Ich finde, es hat sich sehr viel verändert. Als ich 2011 angefangen habe, war das Interesse sehr gering, sowohl von der Öffentlichkeit als auch von den Medien. Mittlerweile sympathisieren viele Menschen mit den Flüchtlingen. Wobei das natürlich die anderen auf den Plan ruft, die niemandem Asyl geben wollen. Auch die Medien leisten oft ganz tolle Arbeit, es gibt viele sehr engagierte Journalisten, die sich eingesetzt haben.

 

Denken Sie, Sie haben etwas beigetragen mit Ihrer Arbeit?

Ratz: Ein bisschen vielleicht, wir haben vor 200 000 Menschen gespielt, es wurde weltweit berichtet. Auf unseren Konzerten waren Bundesverfassungsrichter und Entscheidungsträger aller möglichen Parteien, mit denen wir Gespräche geführt haben.

 

Sie sagen, es hat sich im Bewusstsein der Bevölkerung viel getan. Was muss sich politisch noch tun, um die Situation von Flüchtlingen zu verbessern?

Ratz: Angefangen hat alles mit dem großen Asylkompromiss, mit dem man Anfang der 90er Jahre die Flüchtlinge eigentlich aus dem Schutzbereich des Grundgesetzes rausgenommen hat. Sie warten oft jahrelang, bis sie Asyl bekommen. In dieser Zeit müssen sie wenigstens das Recht haben, vernünftig leben zu können, zum Beispiel ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen oder sich selbst geistig zu betätigen. Also Dinge, die jeder Mensch braucht, um nicht depressiv zu werden. Nicht selbstverständlich ist auch, dass Menschen, die aus Foltergefängnissen kommen, eine psychologische Behandlung erhalten. Das sollte sich unser Staat doch leisten können, schon rein geschichtlich betrachtet. Natürlich muss jeder einzelne Fall geprüft werden, aber in dieser Zeit sollte man die Menschen gastfreundlich behandeln und nicht wie politische Gefangene.

 

Leider erleben wir in Europa aber zunehmend rechte Tendenzen . . .

Ratz: Viele lassen sich unheimlich schnell hysterisieren. Und viele denken, sie sind in einer vermeintlichen Sicherheit. Nach dem Motto: Mir und meinen Kindern kann das ja nicht passieren. Dabei kann es auch passieren, dass man aus Deutschland fliehen muss. Dieses Bewusstsein fehlt: Dem anderen helfen zu wollen, weil man selbst mit seinen Lieben auch in Not geraten könnte. Wir leben natürlich auch in einer Welt, die uns zu ganz krassen Egoisten formt.

 

Sie waren selbst ein Jahr lang obdachlos. Wer hat Ihnen geholfen?

Ratz: Andere Obdachlose, aber auch viele Frauen. Vielleicht weil die mehr soziales Gefühl haben. Ich wünsche mir halt immer, dass der Mensch nicht ganz so raubtierhaft agiert, wie er sich oft darstellt.

Sie leben also in immerwährender Hoffnung, oder?

Ratz: Es ist ja nicht so, dass die Menschheit keine Verbesserung durchgemacht hätte. Viele Errungenschaften sind teuer erkauft. Und Resignation ist ja wohl der allerschlechteste Weg. Für mich hat mein Engagement auch mit Selbstachtung zu tun. Ich mische mich ein, weil‘s einfach sein muss.

 

Sind Sie ein Rebell, oder wie Sie selbst einmal sagten, ein Unruhestifter und Märchenerzähler?

Ratz: Momentan werde ich natürlich hauptsächlich über meine politischen Aktivitäten wahrgenom-
men, aber ich habe auch eine ganz andere Seite, schreibe Kinderbücher und habe ein sehr poetisches Projekt mit isländischen Musikern angefangen. Rebell. . . Naja, ich wirke wohl rebellisch, weil viele der Dinge, die ich fordere, einfach nicht erfüllt sind. Aber ich tue nur das, was ich für richtig halte.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter: www.fluchtschiff.de

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