Mußestunde mit leichten Mädchen

24.3.2015, 19:31 Uhr
Mußestunde mit leichten Mädchen

© Stefan Hippel

Kaum etwas ist so prickelnd wie Gerüchte, noch dazu, wenn sie sich um pikante Themen wie das Rotlichtmilieu drehen. Als die Stadt Nürnberg 2009 die Villa in der Blumenstraße aus dem Dornröschenschlaf weckte und zur Kunstvilla umbaute, machten solche Gerüchte schnell die Runde: „Wissen Sie nicht, dass das hier einst ein Stundenhotel war?“, wurde Villa-Chefin Andrea Dippel von zum Teil hochbetagten Besuchern immer wieder hinter vorgehaltener Hand zugeraunt. Die seltsamen winzigen Nasszellen in den Räumen, von denen eine nun als begehbare Fotografie der Künstlerin Pirko Schröder wieder eingebaut wurde, schienen Indizien dafür zu sein. . .

Heute, sechs Jahre und viele Recherchestunden später, meint Dippel: „Ja, kurz nach dem Krieg, 1945/46, war die Villa ein Stundenhotel, aber ein ganz seriöses und sehr diskretes. Hier fuhren die dicken Limousinen vor.“ Wie viele ihrer Besucher war Dippel fasziniert von dem Thema, zu dem sie zu ihrem eigenen Erstaunen auch zahlreiche Bilder in der Sammlung fand: Animierdamen in aufreizender Pose, sich waschende Mädchen, Frauen „An der Straßenecke“ und auch den „Ziehharmonikaspieler mit Dirne“, den August Mayr-Lenoir 1930 malte.

Bilder umbenannt

Dieses unschickliche Motiv wurde in späteren Inventarlisten umbenannt in „Ziehharmonikaspieler mit Mädchen in der Schenke“ — und schwupps war aus dem anrüchigen Bild ein ganz „bürgerliches“ geworden. Ein „Trick“, der übrigens öfter angewendet wurde: Da verwandelte sich der Damensalon gerne mal in einen Modesalon — zumindest auf dem Papier der Kunstverwalter.

Aus dem Fundus der Sammlung, die um zahlreiche Leihgaben ergänzt wurde, ist nun die sehenswerte Ausstellung „Buntes Gewerbe — Glanz und Elend hinter der bürgerlichen Fassade“ entstanden. Gezeigt werden 47 Werke — fast ausschließlich Gemälde — von 26 Künstlern aus der Region Nürnberg. Entstanden sind die Bilder zwischen 1910 und 2010, der Schwerpunkt liegt auf Arbeiten aus den 50er Jahren.

Natürlich geht es um Blicke durchs Schlüsselloch auf (halb-)nackte Frauen im Bordell, um die Geschäftsanbahnung unter der Laterne und das zu Markte tragen der Haut. Die Ausstellung behandelt aber auch moralisch unbedenkliche Sonntagsvergnügen wie Tierschauen, Gaukler und Harlekine und ihr Spiel mit den Masken sowie Feste und Jahrmärkte.

Vor allem in dieser der fünf klar gegliederten Abteilungen verströmt die charmante Schau viel Lokalkolorit und vermittelt auch Zeitgeschichte, etwa durch die Gegenüberstellung von zwei Gemälden Hermann Thomas Schmidts (1902–1989): Auf dem einen zeigt er 1941 inmitten der Tristesse des Krieges ein „Kasperltheater in Wöhrd“. Sehr viel bunter, lebendiger geht es an den Buden bei der „Kirchweih an der Wöhrder Wiese“ um 1955 zu.

Für Preis nominiert

Vertreten sind in der Ausstellung viele heute eher unbekannte Namen der regionalen Kunstgeschichte, die es zu entdecken gilt, aber auch namhafte Maler wie Franz Vornberger mit seinem wunderbaren, 1958 entstandenen Bild „Fahrendes Volk“ oder Peter Angermann mit einem geifernden „Spanner“ auf Blümchentapete. Dieses Bild und die begehbare Nasszelle von Pirko Schröder sind auch eine schöne Reminiszenz an die faszinierende und wechselvolle Geschichte der 1895 erbauten Villa. Die Mini-Duschen, auch das hat Dippel inzwischen recherchiert, wurden erst in den 60ern eingebaut, als das Haus ein ganz normales Hotel war.

Mit ihrer nun wieder glänzenden Fassade und den behutsam restaurierten Räumen dahinter wurde die im Vorjahr eröffnete Kunstvilla für den Denkmalpreis des Bezirks Mittelfranken nominiert. Preisverleihung ist an diesem Freitag.

Kunstvilla Nürnberg, Blumenstraße 17: „Buntes Gewerbe“. 26. März bis 4. Oktober, Di., Do.–So. 10–18, Mi. 10–20 Uhr. Begleitheft 4 Euro. Infos zum Rahmenprogramm:´ www.kunstvilla.org

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