Netrebko: Angekommen in der vokalen Königsklasse

20.9.2016, 15:19 Uhr
Netrebko: Angekommen in der vokalen Königsklasse

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Ein schwarzer (Todes?-)Engel mit Goldkrone ziert das Cover. Fast sieht das so aus wie eine Mischung aus Turandot und Mifostofele. Aber es ist ja auch wahr: In der Oper wird wunderbar gestorben, aber am eindrücklichsten wohl doch in jener Epoche, die man in der Musikdramatik Verismus nennt, also am Ende des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.

Tosca entleibt sich, indem sie von den Zinnen der römischen Engelsburg springt; Prinzessin Liu erdolcht sich mit einem Schwert, das sie zuvor einem Soldaten entwendet hat, Manon Lescaut verdurstet qual- wie klangvoll in der Wüste, während die Geierwally (bei Catalani "La Wally") von einer Lawine mitgerissen wird. Es ist das ganz große Gefühlstheater, das die Herren Puccini, Cilea oder Leoncavallo hier ausbreiteten.

Es spricht für die kluge Karriere-Planung der russischen Primadonna, dass sie sich erst jetzt, also nach zwei Jahrzehnten als exquisite Mozart- und dann Verdi-Interpretin, an dieses Repertoire wagt, das für Netrebko nichts weniger als die Königsklasse bedeutet. Nicht zuletzt, weil genau hier die für alle in diesem Fach Maßstäbe setzende Maria Callas so brilliert hatte.

Doch Nebtrebko singt absolut auf Augenhöhe mit der Griechin, auch wenn die Callas sicher noch mehr Träne in der Stimme hatte. Man höre sich "La mamma morta" (aus Giordanos "Andrea Chénier") an: Das verursacht auch mit Anna Netrebko pure Gänsehaut. Eine erschütternde Kindheitsbeichte mit den für Netrebko aus ihrer slawischen Gesangstradition so charakteristischen Registerbrüchen. Die Sopranistin zielt gefühlvoll wie unpathetisch auf die letale Apotheose zu. In jeder Arie steckt ebenso viel Berufs- wie Lebenserfahrung. Leidenschaft und Reflektion gehen eine perfekte Liaison ein und das auf vokaltechnischem Höchstniveau.

Noch dramatischer als "La mamma morta" verkörpert Netrebko jenen Moment, da Straßensängerin Gioconda das tödliche Gift zu sich nimmt: "Suicido! In questi fieri momenti". Auch wenn ihr aserbaidschanischer Ehemann und Duett-Partner Yusif Eyvazov mit angestrengtem Tenor der Gattin nicht ebenbürtig ist, so bedeutet „Verismo“ doch einen Markstein — nicht nur in der Karriere Netrebkos. Chor und Orchester der römischen Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Antonio Pappano sind daneben ideale Sparringspartner.

Anna Netrebko: Verismo (Deutsche Grammophon)

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