Neuer Bestseller von Emma Cline

11.8.2016, 16:29 Uhr
Neuer Bestseller von Emma Cline

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Millionenbeträge, hört man, seien geflossen beim Poker um den Debütroman der bei seinem Erscheinen gerade mal 25 Jahre alten Amerikanerin Emma Cline. Ihre Erscheinung ist so recht nach dem Geschmack der Verlagsagenten: insistierende blaue Augen im gleichermaßen schönen wie rätselhaften Gesicht, umrahmt von langen, ins Rötliche spielenden Haaren.

Und eine Geschichte, die es in sich hat. Geschrieben in einer belesenen Versiertheit, die Staunen macht und fast durch jede Seite unverbraucht treffende Metaphern und Wendungen irrlichtern lässt, die jedoch dem Lesefluss in keiner Weise im Wege stehen. Im Gegenteil: Emma Clines Roman „The Girls“ möchte man nicht aus der Hand legen, bis man weiß, was ihrer Heldin Evie Boyd widerfahren ist. Man vermutet wie bei fast jedem Debüt, dass die Autorin dem Text Autobiografisches eingeschrieben hat. Und tatsächlich scheint es so, als sei der Hype um Emma Cline von ihrem Lebensweg grundiert.

Mit fünf Geschwistern wuchs sie im Norden Kaliforniens auf, ging dann auf die andere Seite Amerikas, wo sie nach ihrem Master an der Columbia University nach Brooklyn zog und in einem Gartenhaus von Freunden für Magazine schrieb und Erzählungen verfasste. Für eine davon erhielt sie einen Preis und der steigerte die Spannung auf den Roman, der die Erwartungen mehr als erfüllt.

Ihr Wunschdenken und auch ihre abwegigen Sehnsüchte bilden den Kern eines Erzählens, in dem ein Coming of Age im Zentrum steht, die Grauzone von nicht mehr Kind und noch nicht Frau. Erzählt wird, wie das Korsett der Rollenvorgaben zu eng wird, wie der Körper mehr will, als er darf, und wie einer Heranwachsenden das bewusst wird.

Diese Evie Boyd ist am Beginn des Romans in ihren mittleren Jahren angekommen, ohne allerdings dort angekommen zu sein, wohin sie sich gesehnt hatte. Temporär ohne Job, hat sich die Kinderlose im Haus eines Exfreundes und in Langeweile eingeigelt, als ihr ein paar überraschend eintreffende Jugendliche ihre Geschichte von einst entlocken. In einer Mischung aus kruden Muttergefühlen und den allenthalben in Kalifornien präsenten Nachbrenneffekten der 60er-Jahre heben ihre Erinnerungen an.

14 war sie im Sommer 1969, sah jünger aus und wünschte sich so sehr, bemerkt zu werden. Sie war ein durchschnittliches Kind in jenen Hippiejahren, die Eltern hatten sich gerade getrennt. Jetzt versucht es die Mutter mit Gruppentherapie, befremdlichen Diäten und noch befremdlicheren Männern, derweil es ihren Ex weg von den Herrenmagazinen im Badezimmerschrank hin zu einer deutlich Jüngeren gezogen hat. Evie langweilte sich, spielte mit ihrem Körper und beobachtete fasziniert, wie Suzanne und ihre Freundinnen eine Mülltonne nach Essbarem durchwühlten. Hier sah sie plötzlich das andere Leben verkörpert: schön, verdorben und verlockend. Es war die Zeit von Haight Ashbury, Make Love Not War und schönen Körpern, die von den obskursten pseudoreligiösen Gurus instrumentalisiert wurden am Pazifik, wobei sie vor allem dessen letzte Silbe in ein Tunwort für jede mit jedem uminterpretierten.

Unreine Schule

Suzanne kommt Evie nah und immer näher, gefährlich nah. In den wenigen Wochen vor der reinen Mädchenschule des Internats durchläuft sie eine unreine Schule, die sie fürs Leben zeichnen wird. Sie biedert sich an bei Suzanne, folgt der wenig Älteren in eine Kommune im Weideland hinter San Francisco, wo der Charles Manson ähnelnde Charismatiker Russell Hadrich eine Überzahl von Mädchen in einer Kommune seiner Gehirnwäsche unterzieht, wobei er sie sich alle gefügig macht.

Evie bestiehlt und belügt ihre Mutter, um dieser vermeintlichen Freiheit ihr Ego zu opfern. Für die Mädchen ist dieser Ort ein Wartezimmer, bis sie bemerkt werden, für die Jungs der, wo sie zu sich selbst finden, bis Russell seine willfährigen Objekte schließlich als brutale Mörder losschickt. Gerade noch kommt Evie davon, stigmatisiert vom Vorgefallenen aber wird sie dennoch bleiben. Emma Cline empfindet sich aus einer historischen Distanz hinein in jene jugendbewegten kalifornischen Jahre: trickreich, fantasievoll und fast einen Tick zu perfekt …

Emma Cline: The Girls. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Carl Hanser Verlag, München. 350 Seiten, 22 Euro.

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