Neuer "Tatort" aus Luzern ist mehr als nur ein Krimi

17.9.2017, 21:43 Uhr
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© ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler

Wenn ein Mensch dem Leben keinerlei Sinn mehr abgewinnen kann und keinen anderen Ausweg mehr sieht, als sich vor einen Zug zu stürzen, können wir lediglich erahnen, in welch tiefer Verzweiflung sich diese Person befindet. Was das im Lokführer auslöst, der so eine Tat hilflos mit ansehen muss, versucht der neue Luzerner "Tatort" zu beleuchten. Der leise inszenierte Film porträtiert einen Mann, dessen Leben durch gleich drei solcher einschneidender Erlebnisse völlig aus dem Ruder gerät.

"Zwei Leben" ist die Geschichte von Beni Gisler (Michael Neuenschwander). Er hat Frau, zwei Kinder, führt ein eigentlich zufriedenes Leben. Bis der Lokführer zweimal in Suizide verwickelt wird. Seither plagen ihn Depressionen. Die Ehe zerbricht. Gisler wechselt den Job. In der Hoffnung auf eine Rückkehr in die Normalität arbeitet er fortan als Fernbuschauffeur. Doch das Schicksal meint es weiterhin nicht gut mit dem Mann. Auf einer Fahrt durch die Nacht springt ihm ein Unbekannter von einer Brücke frontal gegen die Scheibe. Der Vorfall katapultiert die mehr oder weniger verarbeitet geglaubten traumatischen Erlebnisse unverzüglich ein weiteres Mal nach oben. Gislers persönlicher Alptraum beginnt also von neuem. Diese Schlüsselszene in der Dunkelheit gleich zu Beginn ist filmisch stark umgesetzt. Zudem spielt sie sich im Laufe der Handlung - für den Zuschauer sichtbar - im Kopf des Protagonisten wieder und wieder ab.

Ein Mann auf emotionaler Irrfahrt

Die Tatsache, dass Flückiger (Stefan Gubser) und Ritschard (Delia Mayer) rasch herausfinden, dass der Tote jede Menge Benzos im Blut hatte und nicht aus freien Stücken von der Brücke gesprungen ist, bringt Gisler ebenso wenig zur Ruhe, wie die Sitzungen mit Psychologin Sonja Roth (Stephanie Japp). Ganz im Gegenteil, Beni Gisler - Flückiger kennt ihn aus gemeinsamen Zeiten beim Militär und fühlt sich für ihn auf eine gewisse Weise verantwortlich - scheint das nur noch mehr in Wallung zu versetzen. Man kann förmlich dabei zusehen, wie sich die Wolken über dem Mann zusehends verdunkeln und das Unheil seinen Lauf nimmt.

"Zwei Leben" macht bereits in den ersten Minuten keinen Hehl daraus, mehr als nur ein Krimi sein zu wollen. Die Autoren Felix Benesch und Mats Frey haben in ihrem Drehbuch zwar auch klassische Crime-Komponenten verbraten, schieben jedoch hauptsächlich Gislers emotionale Irrfahrt ins Rampenlicht und leuchten sie zudem nicht nur sprichwörtlich aus jedem erdenklichen Winkel aus. Daneben präsentieren Benesch und Frey im Verlauf ihrer Geschichte mit Psychologin Roth ein weiteres Opfer. Ihr kommt dank eines überraschenden Story-Twists eine weitaus bedeutsamere Rolle zu, als das zu Beginn erahnen war.

Drei Erzählebenen

Abseits der eigentlichen Krimihandlung - in der übrigens der schweizerische Schauspieler Roland Bonjour wie schon letzte Woche in "Stau" in einer Nebenrolle auftritt - und der Geschichte des Buschauffeurs gibt es mit dem Privatleben der Kommissare noch eine dritte Erzählebene. Sowohl Flückiger, als auch Ritschard scheinen inzwischen in festen Händen zu sein. Diese Tatsache ist unaufgeregt mit in die Handlung integriert. Allerdings scheint Flückigers Liebelei mit Eveline bereits etwas weiter gediehen zu sein, als Ritschards Affäre mit einer attraktiven Asiatin, die ihr Essen aufs Präsidium bringt und dafür zum Dank lediglich ein flüchtiges Küsschen erhält. Schließlich steht der Kommissar nach erfolgreich abgeschlossener Tätersuche schon mit Sack und Pack vor Evelines Loft und bittet um Einlass.

So ist "Zwei Leben" definitiv ein durch und durch ordentlicher, weil vielschichtiger Luzerner "Tatort". Lediglich bei der Titelwahl hätten die Schweizer etwas mehr Kreativität walten lassen dürfen. Denn vor mehr als vierzig Jahren trug bereits ein "Tatort" mit Hansjörg Felmy in der Rolle von Kommissar Haferkamp denselben Titel. Der Krimi damals erreichte übrigens eine sensationelle Einschaltquote von 60 Prozent. Werte, von denen heutige Fernsehmacher nur noch träumen können.

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