Neuer "Tatort" aus Stuttgart: Spiel mit der Wahrheit

4.11.2018, 21:45 Uhr
"Der Mann, der lügt" konfrontiert Lannert und Bootz mit dem Mord an einen Anlageberater. Im Zusammenhang damit verstrickt sich ein Familienvater zusehends in widersprüchliche Aussagen.

© SWR/Alexander Kluge "Der Mann, der lügt" konfrontiert Lannert und Bootz mit dem Mord an einen Anlageberater. Im Zusammenhang damit verstrickt sich ein Familienvater zusehends in widersprüchliche Aussagen.

Nach einem spannenden und durchaus furchteinflößenden Ausflug in die dunkle Welt der Mythen in der vergangenen Woche, bei dem sich die Bremer Kommissare Lürsen und Stedefreund mit okkulten Themen wie Vampirismus konfrontiert sahen, erscheint der neue Fall aus Stuttgart auf den ersten Blick geradezu gewöhnlich.

Schließlich sind in "Der Mann, der lügt" Vampire weit und breit nicht in Sicht. Auch von jeglichen anderen übernatürlichen Dingen fehlt im von Martin Eigler filmisch betrachtet sehr sachlich in Szene gesetzten Jubiläumsfall von Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) jede Spur.

Eine kleine Gemeinsamkeit zu "Blut" gibt es dann doch: Anlageberater Uwe Berger scheidet im Stuttgarter Krimi wie die Opfer im Bremer Grusel "Tatort" durch eine Verletzung am Hals und somit auf dieselbe Weise aus dem Leben. Allerdings nicht per Biss eines Blutsaugers, sondern durch einen Gegenstand, den ihn ein unbekanntes wütendes irdisches Wesen in die Kehle rammte.

Weichkochen auf Schwäbisch

Dieses unbekannte wütende irdische Wesen ausfindig und dingfest zu machen, ist die Aufgabe der Ermittler in "Der Mann, der lügt", die damit ihr zehnjähriges Dienstjubiläum begehen. Ein Dienstjubiläum ohne eine einzige Verfolgungsjagd. Denn Eiglers Film spart mit Action. Seine Produktion spielt sich an wenigen verschiedenen Schauplätzen ab, hält dafür eine Unmenge an Dialogen bereit.

Eine dieser Konversationen ereignet sich in einem "Stuttgarter Verhörraum". Dabei handelt es sich um eine karge Kammer mit vergitterten Fenstern, in der man Tisch und Stuhl nicht verschieben kann, da sie fixiert sind. "Weil hier mal jemand richtig Randale gemacht hat. Seither ist das Vorschrift", erklärt Lannert dem verdächtigen Familienvater, den die Kommissare hier in die Zange nehmen. Allein dieses Weichkochen auf Schwäbisch nimmt über zehn Minuten des kompletten Krimis in Anspruch.

Ein umgekehrter "Tatort"

Zugegeben, all das erscheint auf den ersten Blick vermutlich etwas dröge. Doch beim genaueren Betrachten der Szenerie ist es das überhaupt nicht. Martin Eigler beweist, dass er keine Action benötigt, um einen Film interessant und sehenswert zu gestalten. Eben das gelingt dem Regisseur vor allem durch einen kleinen dramaturgischen Kniff mit großer Wirkung.

Eigler verdreht die Perspektive. Er erzählt den Film aus der Sichtweise von Jakob Gregorowicz (Manuel Rubey). Einem Mann, der sich im Laufe der Spielzeit innerlich wie äußerlich von einem coolen Macher in ein unsicheres Häufchen Elend verwandelt. So stehen in diesem umgekehrten "Tatort" nicht wie sonst die Ermittler und deren Ermittlungsarbeit im Fokus. Davon bekommt man nur am Rande mit. Vordergründlich geht es um diesen Familienvater, der in Verdacht gerät, ein Mörder zu sein.

Infolgedessen werden die Kommissare als Eindringlinge empfunden. Sie erscheinen kühl und hart, wirken bedrohlich. Trotzdem weiß der Zuschauer natürlich aus der Historie heraus, dass Lannert und Bootz die Guten sind, die diesmal eben eine ganz harte Nuss knacken müssen. All ihr Können ist nötig, um der Wahrheit ans Tageslicht zu verhelfen. Schließlich verstrickt sich der Verdächtige zusehends in widersprüchliche Aussagen. Bis zuletzt ist völlig offen, was wahr ist, und was gelogen.

In den zahlreichen und langen Verhöraufnahmen, die die zentralen Angelpunkte in "Der Mann, der lügt" darstellen, offenbart sich darüber hinaus das immense schauspielerische Können von Müller (Lannert) und Klare (Bootz), die mit unterschiedlichen Taktiken operieren und so den Verdächtigen mürbemachen. Außerdem zeigt Eigler mit diesen Passagen, wie interessant und aufregend man Szenen gestalten kann, die in manch anderen Krimis an Langeweile kaum zu überbieten sind.

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