Neuer Tukur-"Tatort": Ein grandioses Psycho-Kammerspiel

20.11.2016, 21:38 Uhr
Neuer Tukur-

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Felix Murot bekommt es in "Es lebe der Tod" erst mit seinem sechsten Fall zu tun. Damit gehört der LKA-Ermittler bei weitem noch nicht zur alteingesessenen Kommissarengilde des "Tatort". Doch da bislang alle Episoden ein wenig aus der Art schlugen, gehören die hessischen Geschichten schon jetzt zu den aufregendsten Ablegern der Reihe und genießen daher bei vielen Fans bereits Kultstatus.

So wie zum Beispiel die Premiere "Wie einst Lilly", in der Melancholiker Murot mit einem Tumor im Kopf ermittelt, ihm einen Namen verpasst und schließlich beginnt, sich mit Lilly, dem Tumor, zu unterhalten. Oder das Mega-Geballer "Im Schmerz geboren". Ein Krimi voller Anspielungen und Querverweise und den bis heute meisten "Tatort"-Leichen. Nicht zu vergessen das verwirrende "Wer bin ich?", in dem im Rahmen einer Film-im-Film-Handlung Tukur selbst und nicht seine Figur Murot im Fokus steht. So ganz nebenbei nimmt dieser Krimi auch noch die gesamte Branche aufs Korn. Ach ja, das inzwischen chirurgisch entfernte Geschwür spielt in "Es lebe der Tod" erneut eine prominentere Rolle.

Eine trügerische Eröffnungssequenz

Doch das wird erst im Verlauf des Films klar. Zu Beginn von Nummer Sechs deutet nämlich viel auf einen fast schon herkömmlichen Krimi hin. Sieht man mal von einigen furchteinflößenden Donnerlauten und ein paar nicht verifizierbaren Erinnerungsfetzen ab, die sich im Kopf von Murot abspielen, als der am Fenster lehnend dem Rauch seiner Zigarette hinterhersieht. Abgesehen davon bietet sich in den ersten Minuten eine typische "Tatort"-Eröffnungssequenz. Eine Nackte liegt mit aufgeschnittener Kehle in einer Badewanne. Fotoapparate klicken. Männer in weißen Schutzanzügen und Schutzbrillen auf der Nase nehmen Proben. Doch wir sind hier ja in Wiesbaden. Und weil das so ist, ist dieses erste Bild trügerisch, ja falsch.

Das LKA hat diesen Mord inszeniert. Ein Serienkiller geht um. Er tötet leise. Seine Opfer scheiden friedlich, wie bei einem Selbstmord, aus dem Leben. Alle Toten waren depressiv oder unheilbar krank. Da die Ermittlungen nicht vorankommen, erhoffen sich die Behörden, mit dem fingierten Tod der jungen Frau den Täter aus der Reserve locken zu können. Der Plan geht auf. Mister Unbekannt nimmt Kontakt mit Murot auf. Das erste Kennenlernen findet bei einer nächtlichen Autofahrt durch Wiesbadens Regen statt. Es schüttet wirklich wie aus Kübeln. Der Psychopath, der mit einer samtenen, fast betörenden, Stimme spricht, führt Murot zu einer braunen Kiste. Statt eines abgetrennten Kopfes wie in "Sieben" finden sich darin Bilder seiner Opfer.

Der Mörder spiegelt Murots Seele

Danach klicken die Handschellen. In einer stimmungsvollen Gefängniskapelle, deren Fenster abgedunkelt sind, verlangt der Psychopath nach Murot. Dort beginnen grandiose Verhörgespräche zwischen zwei Menschen, die nur auf den ersten Blick grundverschieden sind. Mit jedem Moment werden die Gemeinsamkeiten klarer. Ein Bild greift ins nächste. Man bekommt freie Sicht auf die bizarre Welt eines faszinierenden Mörders, aber auch auf die des traurigen Ermittlers, der in seiner einsamen Freizeit oft halbtrunken auf dem Dach seines Hauses steht. Ein Psychopath als Versinnbildlichung von Murots Seele. Ein Psycho-Duell auf Augenhöhe.

"Es lebe der Tod" ist ein toll gefilmtes, geniales Kammerspiel im Kino-Format. Es beschreibt den Zweikampf zwischen Murot und Arthur Steinmetz (Jens Herzer), der es von Anfang an eigentlich nur auf ihn abgesehen hat, auf eine fast poetische Weise. Wenn Worte überflüssig werden liefern Bilder, die mit emotionaler Musik unterlegt sind, die nötigen Erklärungen. In stimmungsvollen Rückblenden, die sich schon allein durch ihre Farbgebung von der Gegenwart unterscheiden, versucht der Mörder Werbung für sich und seine Entscheidungen zu betreiben. Wirklich keiner macht würdevolles Sterben so schmackhaft wie Steinmetz. Die Sätze, die es dafür bedarf, bleiben knapp. Knapp, aber doch so vielsagend.

"Ich töte nicht. Ich erlöse. Würdevoll"

Der von Theater-Schauspieler Jens Harzer bemerkenswert dargestellte Artur Steinmetz sieht sich selbst als Erlöser, nicht als Mörder. Wie Murot leidet er an einem Gehirntumor und nimmt den Opfern lediglich die Qual, jeden Morgen immer wieder aufs Neue aufstehen zu müssen. "Alles würdevoll", verspricht er und hofft, auch Murot erlösen zu dürfen. Der wankt. Symptome seiner vergessen geglaubten Depression kochen hoch. Unangenehme Erinnerungsfetzen bahnen sich ihren Weg zurück ans Licht. "Die Traurigkeit macht einsam, die Einsamkeit macht traurig".

Mit schlichten Sätzen wie diesen trifft Steinmetz nicht nur Murot, sondern den Zuschauer ebenso bis ins Mark. Demzufolge tanzt "Es lebe der Tod" wieder gekonnt aus der Reihe. Nicht zuletzt auch wegen eines imponierenden Showdowns. Die nächsten Grimme-Preis-Nominierungen für Ulrich Tukur und seinem Gegenüber Jens Harzer liegen womöglich bereits in der Schublade.

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