Neues Stück von Sibylle Berg in Erlangen

6.12.2016, 17:00 Uhr
Neues Stück von Sibylle Berg in Erlangen

© Foto: Jochen Quast/oh

Da sitzt das Publikum nun im "Theater in der Garage", blickt auf zwei Leinwände und weiß nicht so recht wohin mit den Rettungswesten, die es zuvor auf den Plätzen vorgefunden hat. Zuvor saßen alle noch gemütlich nebenan im Theater-Café und staunten über drei Männer, die sich den Frust von der Seele redeten. Jetzt flimmern Landschaftsaufnahmen, Zeitlupenbilder von Eiern, die aufgeschlagen, und Gläsern, die zerschossen werden, sowie die feixenden Gesichter der AFD-Führungsriege über zwei Leinwände. Eine künstlerische Brechung, die zutiefst verunsichert.

"Viel gut essen" ist ein Stück von Sibylle Berg (die älteren Leser schätzen sie als Autorin und Kolumnistin, die jüngeren kennen sie als Niveau-Beschleunigerin der TV-Show "Schulz & Böhmermann"), in dem tief in die Seelen der ominösen "wütenden weißen Männer" geblickt wird. Berg, das spricht für ihren Scharfsinn, hat ihren Text bereits vor zwei Jahren verfasst - also lange bevor dieses Phänomen zum großen Medienthema wurde.

Bei Berg kocht ein Mann nicht nur sprichwörtlich vor Wut. In der stimmigen Inszenierung von Katrin Lindner fürs Theater Erlangen wird aus der Vorlage für einen Mann und Chorstimmen am Herd ein Kneipengespräch - passend in Szene gesetzt rund um den Tresen des Theater-Cafés.

Betont locker trippeln Hermann Große-Berg, Ralph Jung und Charles P. Campbell durch die Tischreihen. Sie rücken den Prototyp des Mannes von nebenan geschickt in den Fokus. Da wird monologisiert, miteinander gesprochen, aneinander vorbeigeredet, das Publikum ins Visier genommen - und zwischendurch als Chor agiert. Diese Herangehensweise wird Bergs intelligenter Textvorlage, die bei aller satirischen Alltagsbeobachtung stets mehr als Kabarett ist, voll gerecht.

Der Mann, der hier sein Herz ausschüttet, ist ein Verlierer. Er ist um die 40, verlassen von der Familie, im Job ersetzt von einer Frau, die einen türkischen Namen trägt. Umringt von Frauen mit Kopftüchern, Emanzen und Hipstern. Seine Selbstsicherheit ist immer mehr der Verunsicherung gewichen. Früher gab es sogar so etwas wie "Toleranz" bei ihm - zumindest, was er darunter verstanden hat. Etwa im Umgang mit dem Schwulen aus der Nachbarschaft: "Er wurde von uns allen mit besonderer Höflichkeit behandelt. So wie man auch mit Behinderten umgeht." Raffiniert, wie hier Sympathie und Abneigung als Wechselspiel erzeugt wird, wie hier auf Wutbürger und auf das Selbstverständnis von Männern geblickt wird.

"Wir sind Bürger mit Bürgerrechten, und die holen wir uns. Stillgestanden. In einer Reihe. Die Ausgabe der Waffen erfolgt jetzt... Steht auf, ihr Bürger – es ist Krieg", skandieren die Drei, bevor es nebenan in die "Garage" geht. Dort wartet die Videoinstallation von Sean Keller. Die Verunsicherung des Publikums geht hier erst so richtig los. Sie wird auch nicht weichen, wenn der Schlussapplaus verhallt ist!

Weitere Aufführungen am 21. u. 22. Dezember sowie 27.—29 Januar. Weitere Infos und Karten:

www.theater-erlangen.de

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