Neugier vertreibt Angst

17.5.2016, 12:03 Uhr
Neugier vertreibt Angst

© Henning Kaiser/dpa

Herr Yanar, was ist für Sie typisch deutsch?

Yanar: Deutschland ist das einzige Land ohne Tempolimit weltweit. Leute kommen aus dem Ausland, um einmal in ihrem Leben einen Geschwindigkeitsrausch zu erleben. Typisch deutsch ist die Dialektvielfalt und der föderalistische Gedanke: Man möchte zwar eine Einheit haben und eine nationale Stärke und Identität, aber auf der anderen Seite will man seine lokalen Eigenheiten nicht aufgeben. Vielleicht ist es doch eher die Vielfalt, welche die deutsche Identität ausmacht oder ausmachen sollte. Es sei denn ein Bajuware will seine Lederhosn und ein Kölner sein Kölsch für irgend etwas, was für alle deutsch ist, aufgeben.

Über nationale Identität wird diskutiert wie schon lange nicht mehr. Dabei – und die AfD profitiert davon — schwingt immer Angst mit. Können Sie die nachvollziehen?

Yanar: Ich kann sie nachvollziehen, halte Angst aber für keinen guten Ratgeber. Den Rechtsruck gab es schon nach der Wirtschaftskrise. Damit ist auch gesagt, dass ein Teil der Bevölkerung auf die persönlichen Verunsicherungen dankbar mit einem Feindbild reagiert. Welches die AfD bedient und schürt. Das Feuer hat die AfD nicht gelegt, das ist schon in vielen Menschen drin.

Trotzdem glaube ich, dass viele Menschen Angst vor Fremden haben. Aber man ist nicht automatisch faschistoid, nur weil man Angst hat. Die Flüchtlinge, die letztes Jahr nach Deutschland kamen, haben eine ganze Menge Leute verunsichert und in die Arme der AfD getrieben. Man muss das ernst nehmen. Ich mag es nicht, wenn meine Kollegen sagen, dass alle AfD-Wähler doof sind. Aber Fremdenfeindlichkeit ist keine Sache der Intelligenz, sondern fehlender Empathie. Man muss versuchen, die Menschen zu verstehen und auf sie einzugehen und sie aus ihrem Irrweg herauszuholen. Viele haben das Gefühl, benachteiligt zu sein, sind es aber nicht. Und viele haben die AfD aus Protest gewählt, selbst wenn sie der AfD keine grundlegenden Veränderungen zutrauen. Das ist ein gefährliches Spiel.

Wie kann man der Angst begegnen?

Yanar: Das Einfachste ist: Interaktion und Kennenlernen. Neugierde statt Angst. Mich interessiert, was zwischen dem türkischen Gemüsehändler und dem deutschen Bankangestellten passiert, wenn sie sich treffen. Da wird eigentlich Politik gemacht. Im Alltag wird entschieden, wie es weitergeht in Deutschland.

Macht Ihnen diese aktuelle Entwicklung Angst?

Yanar: Noch nicht. Weder die Flüchtlinge noch der Aufschwung der rechten Parteien - letzteres ist ja ein europaweites Problem. Es gibt leider immer wieder einen Rechtsruck in Europa - etwa nach einem Terroranschlag, das richtet sich gerne gegen Moslems. Ich glaube, dass Religion grundsätzlich nicht einfach ist und auch Leute daran hindern kann, friedlich miteinander zu leben, weil man Religion instrumentalisieren kann.

Trotzdem: Der gemäßigte Moslem, den ich seit Jahren kenne, oder die Christen und Juden – die wollen alle keinen Stress. Die wollen ihr Geld verdienen, ihre Kinder großziehen. Die habe keine Lust auf Orient gegen Okzident.

Sie sagen, es mache Ihnen noch keine Angst. Was muss passieren, dass Sie doch Angst bekommen?

Yanar: Wenn die fremdenfeindlichen Übergriffe zunehmen würden. Ich fand es schon beschämend, was im letzten Jahr in Deutschland passiert ist — etwa die 120 Menschen in Sachsen, die Flüchtlinge in einem Bus anschreien. Wenn die AfD über 30 bis 40 Prozent bundesweit bekommen würde, dann würde ich mir auch Sorgen machen.

Haben Sie selber Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit gemacht?

Yanar: Ich selber hatte großes Glück und habe vielleicht auch keine Fläche für Fremdenfeindlichkeit geboten: Zum einen konnte ich immer relativ gut Deutsch, zum anderen sehe ich nicht so orientalisch-exotisch aus. Wenn ich in Italien bin, halten die Menschen mich für einen Italiener, wenn ich in Spanien bin, spricht man mich auf Spanisch an. Und in Deutschland wusste man nie so genau, wo ich herkomme. Ich mag es, dass ich so ein Universalausländergesicht habe. Auch mag es eine Rolle gespielt haben, dass ich in der Multikulti-Stadt Frankfurt aufgewachsen bin. In der war Vielfalt nicht fremd und immer eine Bereicherung.

Wie wichtig ist Sprache für Integration?

Yanar: Ich habe es bei meinen Eltern aus nächster Nähe erlebt: Sprache ist Integrationsschub Nummer eins. Das Nichtverstehen und das Fremdeln fängt vor allem mit der Sprache an. Sprache ist der wichtigste Baustein für ein Miteinander.

Sie selber können kaum Türkisch, Ihre Eltern sprachen mit Ihnen immer nur Deutsch.

Yanar: Mein Vater hat einen radikalen Ansatz verfolgt: Er hat mir und meinem Bruder Türkisch nicht beigebracht aus Sorge, die Kinder könnten nicht mit zwei Sprachen aufwachsen — eine Sorge, welche ich nicht teile. Wenn ich als Kind dann mit Deutschen sprach, fühlte ich mich deutsch und in keiner Sekunde als Ausländer.

Eine Zeit lang habe ich geglaubt, meine Eltern können manche Emotionen nicht nachvollziehen – natürlich konnten sie es, aber sie hatten nicht das Kommunikationsmittel, sie auszudrücken. So nehmen auch viele Deutsche Ausländer, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen, wahr: Die denken, wenn du keine Gefühle ausdrücken kannst, dann hast du die nicht.

Was heißt das für die Flüchtlingsdebatte?

Yanar: Man hat eine sehr vereinfachte Vorstellung von einem Wesen, wenn man glaubt, es könne sich nicht ausdrücken. Diesen Tunnelblick finde ich gefährlich, er sorgt für Ängste und Vorurteile. Das treibt einen Keil zwischen die Menschen. Fremdenhass oder kein Mitleid für Flüchtlinge zu haben, ist mangelnde Empathie. Und die kommt daher, weil man diese Menschen nicht für vollwertig nimmt.

Wenn ein Flüchtling aus dem Bus in Sachsen gestiegen wäre und in einem dezidierten Monolog den Horror geschildert hätte, den er erlebt hat, wären die Leute vielleicht gegangen. Einige hätten vielleicht angefangen zu weinen. Man hätte die Leute mit Empathie kriegen können, und dafür braucht man Sprache und Kommunikation. Immer in der Hoffnung, dass auf der anderen Seite was geweckt werden kann.

Kommunikation mit den Flüchtlingen kommt leider nirgends im derzeitigen Diskurs vor. Wir alle reden über Flüchtlinge, aber niemand mit ihnen. Damit verweigern wir uns alle, der Empathie Raum zu geben.

Sie beschäftigen sich offenbar stark mit diesem und anderen politischen Themen – im Privaten. Doch auf der Bühne spielen sie kaum eine Rolle.

Yanar: Ich habe eine Botschaft, und die kann man auch auf der Bühne zwischen den Zeilen lesen. Ich spreche Fremdenfeindlichkeit und die Flüchtlingsdebatte an. Aber ich löse es mit meinem Anspruch: Ich bin in erster Linie Entertainer. Es ist dann die Kunst, die Leute zum Lachen zu bringen, aber zwei, drei Themen zu streifen, die die Menschen zum Nachdenken bringen.

Die Leute, die zu mir kommen, sind keine Rassisten, die lieben den Ethnohumor und sind selbstironisch – in meinem aktuellen Programm „Planet Deutschland“ mache ich viele Witze über Deutschland. Bei meinem Publikum sind Klischees Grund zum Lachen und nicht Bestätigung von Stammtischphilosophen.

In der Flüchtlingsthematik geht es stark um die Kooperation mit der Türkei. Die ist aber – Stichwort Böhmermann – ein schwieriger Partner. Wie haben Sie die Diskussion erlebt?

Yanar: In ein paar Radiointerviews bin ich noch scherzhaft damit umgegangen – Schmähkritik passiert doch jeden Tag auf Facebook, sagte ich. Und ich war überrascht, dass es diesen Majestätsbeleidigungsparagrafen überhaupt gibt. Aber etwas stört mich: Die Debatte ging mir zu lang. Kollegen, von denen man lange nichts mehr gehört hatte, haben „Je suis Böhmermann“ geschrien. Dabei braucht Böhmermann diese Unterstützung nicht, da ich davon ausgehe, dass da nicht viel passiert. Wie gut ist der Deal mit der Türkei? Ich finde es schade, dass das kein Thema mehr zu sein scheint.

Bleibt die Frage: Was darf Satire?

Yanar: Wir haben das schon ganz gut geregelt in Deutschland. Satire darf und soll so ziemlich alles dürfen. Mit Ausnahme von Schmähkritik. Da Spott ein Wesensmerkmal von Satire ist, hat sie auch gar nicht den Anspruch, von allen geliebt zu werden.

Wo hat Ihr Humor Grenzen?

Yanar: Beleidigung ist nicht so mein Ding, das ist für mich zu plump. Es gibt viele Kollegen, die sich dumpfe Leute in Sachsen vornehmen. Ich bin aber keiner, der irgendeinen Song über die „doofen Nazis“ macht. Ich glaube, damit erreicht man nichts.

Was ist mit Religion? Darf man darüber Witze machen?

Yanar: Das muss jeder für sich entscheiden, rechtlich gesehen gibt es den sogenannten „Blasphemieparagrafen“. Ich mache ohnehin keine Witze über Religion, dafür ist der Glaube zu privat und zu schwierig. Viele Menschen identifizieren sich mit ihrer Religion. Ich fühle mich nicht berufen, die Leute zu provozieren und zu schauen, wo ihre Grenze ist. Ich möchte das Publikum in erster Linie unterhalten, und das geht auch mit einer politischen Botschaft.

Am Sonntag, 29. Mai, tritt Kaya Yanar mit seinem aktuellen Programm "Planet Deutschland" ab 19 Uhr in der Nürnberger Meistersingerhalle auf.

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