Nürnberg wie es singt und klingt

3.12.2018, 08:00 Uhr
Nürnberg wie es singt und klingt

© Foto: Konrad Fersterer

Jede Stadt hat ihren eigenen Sound, ihre eigenen Geschichten. Bei Paris denkt man an Chanson, bei New York an Jazz, bei London an Popmusik. Aber wie klingt Nürnberg? Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, wenn man nicht die bekannten Klischees bedienen will.

Der Blick von außen kann da durchaus erhellend sein, wie der Liederabend "Die Musik war schuld" beweist. Sowohl die Regisseurin Selen Kara als auch die musikalische Leiterin Vera Mohrs sind neu in der Stadt. Ihnen gelingt das Kunststück, ein originelles Porträt von Nürnberg zu liefern, das ohne Club und Dialekt, ohne Bratwürste und Butzenscheiben, ohne Dürer und Führer, ohne Lebkuchen und Christkind auskommt.

Natürlich kann man sich fragen, was hat das denn dann noch mit Nürnberg zu tun? Jede Menge, wenn man genau hin hört. Auf die Zwischentöne kommt es hier an. Aus diesem Liederabend können selbst eingefleischte Nürnberger noch einiges lernen. Ungewöhnliche Künstler-Porträts sind ja in der Regel auch viel aufschlussreicher als noch so gut gemeinte Selfies.

Dreh- und Angelpunkt dieser musikalischen Stadtführung ist ausgerechnet das Ehekarussell, der umstrittene Brunnen von Jürgen Weber am Weißen Turm. Die Brunnenfiguren werden gewissermaßen lebendig, als Passanten, Zeitzeugen oder Ansprechpartner. Eine tolle Idee, denn so bekommt die lose Text- und Songcollage ein festes Gerüst. Erzählt wird eine Stadtgeschichte als Liebesgeschichte mit all ihren Höhen und Tiefen, Licht- und Schattenseiten.

Nebenbei bietet dieser Abend auch die Gelegenheit, zwei große Nürnberger wieder zu entdecken: Hans Sachs und Hermann Kesten. Vom Schusterpoeten stammt das Gedicht vom "Bittersüßen eh’lich Leben", das Jürgen Weber zu seinem Brunnen inspirierte, und in den Texten von Hermann Kesten spiegeln sich die Erfahrungen und Erlebnisse eines Flaneurs und Caféhaus-Besuchers ebenso wie die eines Flüchtlings und Heimkehrers.

Geschickt werden die verschiedenen Texte und Lieder zu einem vielschichtigen, melancholischen Soundtrack verwoben. (Da fällt einem denn doch Dürers "Melencolia" ein.) Selen Kara und Vera Mohrs arbeiten nicht mit dem Holzhammer, sondern mit kleinem Besteck. Oft bleibt es bei Anspielungen, die bei Insidern für Aha-Effekte sorgen.

Filigrane Stücke

Vera Mohrs spielt selbst Klavier und hat filigrane Stücke sowie extrem reduzierte Arrangements geschrieben. In wechselnden, gleich wichtigen Rollen bewähren sich die Neu-Nürnberger Pauline Kästner, Amadeus Köhli, Lea Sophie Salfeld und Cem Lukas Yeginer neben den Alteingesessenen Adeline Schebesch und Pius Maria Cüppers als Schauspieler und Sänger gleichermaßen.

Die extravagant kostümierte Truppe bildet einen malerischen Kontrast zu der dunklen, mittelalterlichen Mauerkulisse. Wie selbstverständlich gehen gesprochene in gesungene Texte über, die Liedauswahl ist alles andere als naheliegend, aber durchaus einleuchtend. Da kommt neben Richard Wagner und Franz Schubert, neben Billy Joel und Bob Dylan ganz selbstverständlich der Nürnberger Liedermacher Gymmick zu Ehren: "Man sagt, wer es anderswo geschafft hat, versagt doch noch in Nürnberg." Rio Reisers Schulzeit am Melanchthon-Gymnasium wird ebenso erwähnt wie Bob Dylans Triumph beim Open-Air auf dem Zeppelinfeld 1978 – "The Times They Are A-Changin’".

Dieser Liederabend bietet keine Lobeshymnen und keine Heimatrevue, sondern das differenzierte Bild einer Stadt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. Am besten bringt das Hermann Kesten auf den Punkt: "Ich fühle mich in keiner Stadt der Welt so zu Hause wie in Nürnberg. Und in keiner Stadt so fremd." Willkommen in Nürnberg!

Weitere Vorstellungen: 6., 8., 13., 18., 21., 28. und 30. Dezember.

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